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Auffahrt

Auffahrt fristet zwischen den emotionalen und bewegenden Festen im Kirchenjahr ein Schattendasein. Zu Unrecht, findet Stephan Jütte: Ohne Auffahrt wäre das Christentum eine Sekte unter anderen geblieben.

“Uns ist ein Kind geboren!” – “Oh grosse Not, Gott selbst ist tot!” – “Er ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!” Ob man das glaubt oder nicht: Mit Weihnachten, Karfreitag und Ostern verbinden wir Bilder und Vorstellungen. Sogar das wilde Pfingsten hat es mit der Taube geschafft, sich in den symbolischen Kulturbestand einzunisten. Mit Auffahrt ist das schwieriger. Man möchte Auffahrt nicht filmisch umsetzen müssen.

Wer weg ist, kann da sein

Wer die Jesus-Geschichte nicht im umgangssprachlichen Sinn “als Geschichte” glaubt, sondern offen ist für eine symbolische, überhistorische, mythologische Interpretation, erkennt, dass Auffahrt das Scharnier zwischen Ostern und Pfingsten darstellt: Der Gottessohn lebt (Ostern) und ist überall, zu jeder Zeit an jedem Ort ansprechbar und uns Menschen nahe, sodass uns sein Geist zusammenbringt (Pfingsten). Aber wie das geht, dass derjenige, der lebt, nicht unter uns ist, das erklärt Auffahrt. Ohne Ostern hätten wir keinen lebendigen, wirksamen Christus, ohne Pfingsten wäre er nicht überall und jederzeit. Aber ohne Auffahrt – ohne dass Christus im Himmel ist – wüssten wir nicht, dass der Auferstandene selbst uns im Geist von Pfingsten nahe ist: Nur wenn er weg ist, kann er ganz da sein.

Vierzig ist genug

Eine christliche Kirche und Kultur, wie wir sie kennen, wäre ohne Auffahrt gar nicht denkbar. Die Realpräsenz des Gottessohnes musste beschränkt werden. Sonst hätte sich jeder auf ein Privattreffen, eine exklusive Offenbarung oder eine neue göttliche Ansage oder Anweisung berufen können: “Also mir ist Jesus auch begegnet. Und er hat mir gesagt, dass…” Die Apostelgeschichte begrenzt die Zeit zwischen Auferstehung bis zur Aufnahme in den Himmel auf vierzig Tage. Vierzig Tage sind ein volles Mass. 40 Tage und 40 Nächte ergoss sich der Regen während der Sintflut auf die Erde. 40 Jahre Wüstenwanderung. Moses war Gott auf dem Berg Sinai 40 Tage nahe. 40 Tage hat Jesus in der Wüste gefastet. 40 Tage oder 40 Jahre: Vierzig ist genug.

Keine Nebensache

Wer sich nach diesen vierzig Tagen auf Gott berufen will, hat es schwieriger. Denn Gottes Geist wird über der Gemeinde, nicht über einem einzelnen Auserwählten ausgegossen. Sein Wirken muss interpretiert, unterschieden und diskutiert werden. Wer auf das Charisma eines religiösen Führers setzt, beruft sich nach dessen Tod auf Sukzession. Dazu braucht es keine Verfahren und Institutionen, sondern nur Legitimation. Und keine Gemeinden, sondern Jünger und Akklamation.

Das Scharnier ist keineswegs eine Nebensache. Es ist zwar “nur” eine Verbindung. Aber falsch verbunden wäre das Christentum nur eine weitere Sekte geblieben, die uns – Gott sei Dank – heute nicht mehr wirklich prägen und beschäftigen würde, sondern ihre vierzig Jahre hinter sich hätte.

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Kommunikation EKS

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Die Kommunikation der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz.

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