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Es ist mir eine grosse Freude, Ehrengast der Bündnersynode zu sein. Nicht nur weil ich einen schönen rätoromanischen Nachnamen trage und als Berner Oberländerin durch meine Heirat in eine wunderbare, interessante Unterengadiner Familie hineingewachsen bin. In der EKS gibt es zwei Kirchen, die eine Pfarrsynode haben: ganz im Osten Ihre Bündner Pfarrsynode und ganz im Westen die Compagnie de Pasteurs der Genferkirche. Ich freue mich, heute die eine Pfarrsynode zu erleben. Dass das ganze Ministerium sich jährlich trifft, die theologische Arbeit der Kirche vorantreibt und sie dann einbringt in das Entscheidungsgremium, das gemischt zusammengesetzt mit Ordinierten und Nichtordinierten die Kirche leitet, finde ich einen guten Weg der Zuordnung von Theologie und Leitung.
Also herzlichen Dank für die schöne Einladung.
Manchmal sind es nicht nur die Fragen allein, die uns nachdenklich stimmen, sondern der Kontext, in dem sie gestellt werden. Thomas Müller-Weigl hat mir im Auftrag des Dekanats einige grundlegende Fragen für mein Referat mitgegeben:
Wo äussern wir uns als reformierte Kirche? Wann sagen wir etwas? Wie beziehen wir Position?
Diese Fragen bewegen uns heute besonders, weil die Selbstverständlichkeiten unserer Welt ins Wanken geraten sind. Solidarität gilt mancherorts als Schwäche, Fairness als Naivität, radikale Positionen als legitimer Teil von Meinungsvielfalt. Christlicher Glaube und kirchliches Engagement werden sogar für menschenverachtende Politik missbraucht.
In solchen Zeiten drängt es uns, klare, schnelle Antworten zu geben. Doch genau das hilft nicht weiter! Wir brauchen keine reflexhaften Reaktionen, sondern Umsicht, Orientierung und Innehalten.
Orientierung habe ich dabei im Ordinationsversprechen der Evangelisch-reformierten Landeskirche Graubünden gefunden. Wer hier ordiniert wird, bekennt sich mit zwei einfachen, aber tiefgründigen Fragen zum Wesen seines Dienstes:
Mir gefällt, dass hier nicht mit dem Handeln begonnen wird, sondern mit dem Hören – mit dem Hören auf Christus, der lebt und spricht. Diese Haltung bringt zum Ausdruck, dass der Dienst nicht aus eigener Initiative heraus geschieht, sondern aus der Beziehung zu Christus erwächst. Der Anfang liegt nicht im Wort, das wir ergreifen, sondern im Wort, das ganz am Anfang uns ruft, beauftragt, ermutigt und birgt. Bevor wir das Wort ergreifen, steht das Wort, das uns ergriffen hat.
Von da aus versteht man auch diese zweite, bemerkenswerte Formulierung: „durch euer Tun und Lassen“. Das Wort, das wir hören, stürzt uns nicht in einen blinden Aktionismus. Unser Zeugnis besteht nicht nur im aktiven Wirken, sondern auch im bewussten Unterlassen, im Raumgeben, im Geschehen-Lassen und in der Hingabe.
Also: fangen wir mit dem Hören an!
Vielleicht haben Sie das auch schon aufgeschnappt – ich habe es in den letzten Jahren immer wieder bei deutschen Kolleginnen und Kollegen gehört – den Satz: «Ich kann das gut hören.» Dieser Satz wird meistens als Eröffnung einer Antwort auf Kritik gesagt. Er bedeutet, ich nehme deine Kritik an. Ich halte sie aus. Häufig kommt gleich danach ein alles relativierendes «ABER». «Ich kann das gut hören. Aber wussten Sie dass…?»
Man kann etwas gut hören, ohne gut zuzuhören. Aber das ist nicht das Hören, wie ich es in Eurem Ordinationsversprechen verstehe. Dort geht es ja um ein «stetiges Hören», eine Haltung. Auf den lebendigen Christus hören, bedeutet, offen zu sein dafür, dass ich irritiert werde, damit rechnen, dass ich mich irre, erwarten, dass ich eine neue Perspektive erkenne.
Der lebendige Christus ist nicht unsere je eigene Selbstgewissheit. Er ist – wenn er wirklich lebendig ist – kein Symbol für unsere eigenen Vorstellungen vom Guten, Wahren oder Richtigen. Er hat die Kraft unsere Selbstverständlichkeiten ins Wanken zu bringen. Er lässt uns innehalten. Wenn wir aktiv hören können wir uns nicht in Wort und Tat stürzen, sondern nehmen erstmal wahr. Das Hören kann uns also davor hüten, allzu schnell zu reagieren. Es entschleunigt unsere Reaktion und lenkt unseren Fokus auf das Gegenüber.
Beim Hören kann es aber nicht immer bleiben. Als Gläubige und als öffentliche Amtsträger und Amtsträgerinnen sind Pfarrpersonen zum Wirken in der Gesellschaft aufgerufen. Sie sollen die Frohbotschaft Gottes durch ihr Tun und ihr Lassen bezeugen.
Doch was genau müssten wir dann Lassen und was genau dennoch Tun?
Karl Barth entfaltet in seiner Schrift Christengemeinde und Bürgergemeinde grundsätzliche Überlegungen dazu. Was ist die Rolle von Christinnen und Christen in der Gesellschaft, in welchem Verhältnis stehen sie zum Staat, worin liegt ihre Aufgabe? Gibt es christliche Politik?
Barth löst dabei die Gegenüberstellung von Christenmenschen und Bürgerinnen und Bürger auf. Christenmenschen sind Doppelbürger! Sie gehören dem schon angebrochenen aber noch nicht eingetretenen Reich Gottes an. Sie sind aber auch Bürgerinnen und Bürger der Gesellschaft, in der sie leben. Ich stelle mir das vor wie einen Menschen, der in zwei Welten zuhause ist – mit einem Fuss in der irdischen Gegenwart, mit dem anderen im Verheissungsland. Das gibt einerseits Bodenhaftung – und andererseits Hoffnung, dass wir nicht alles jetzt und sofort lösen müssen.
Zwei Dinge sollten wir deshalb lassen:
Das erste «Lassen» ist eine hoffnungsvolle Gelassenheit: Nichts ist verloren, Gott kommt auf uns zu. Auch wenn wir es nicht sehen.
Im Glauben wissen wir, dass das wahre Reich noch kommt. Wir sollten diese unsägliche und missbräuchliche apokalyptische Rede, die Jugendliche verängstigt und verstört und Erwachsene in die Resignation treibt, lassen. Denn ja, der Staat, dem wir angehören, ist vorläufig – nicht im Sinn von unwichtig, sondern im Sinn von unterwegs. Er ist ihre Vorhut. Er läuft voraus. Die Christengemeinde hat diesbezüglich einen Wissensvorsprung. In diesem Wissen beteiligen sie sich an der Bürgergemeinde. Sie suchen in ihr der Stadt Bestes. Sie wissen nicht besser, ob diese oder jene politische Massnahme richtig ist. Aber sie wissen im Glauben, dass in dieser Bürgergemeinde die himmlische Polis entsteht. Christinnen und Christen handeln als Christengemeinde, wenn sie aus ihrer Hoffnung auf das Kommen des Reiches handeln.
Das zweite «Lassen» besteht in der Enthaltsamkeit und Bescheidenheit: Die Kirche übernimmt keine politischen Parolen. Sie ist keine Partei – und braucht auch keine zu sein. Ihre Aufgabe unterscheidet sich grundsätzlich von derjenigen der Bürgergemeinde. Darum ist ihr Tun immer auch ein Lassen: Sie verzichtet bewusst darauf, politische Programme zu entwerfen. Stattdessen pflegt sie eine Haltung, die auf das Reich Gottes verweist – und es gegenwärtig werden lässt. Wir dürfen es deshalb lassen, aus der Welt eine grosse Kirche bauen zu wollen. Als Christen bauen wir als Kirche an der Polis mit. Aber als christliche Bürgerinnen und Bürger.
Aus dieser Haltung findet die Kirche ein wichtiges Betätigungsfeld: Sie betet für den Staat und seine Verantwortungsträgerinnen und -Träger. Dadurch trägt sie die Verantwortung der Bürgergemeinde mit. Unser erstes Tun ist das Gebet.
Die Kirche betet aber nicht nur, sie arbeitet auch – ganz handfest: Wie die einzelnen Christinnen und Christen dies tun, bleibt ihrer christlichen Freiheit überlassen. Daraus entsteht aber eine Aufgabe für die Kirche. Barth formuliert es so: «Die Christengemeinde ist die Gemeinde derer, die durch das Wort der Gnade und durch den Geist der Liebe Gottes in Freiheit Gottes Kinder zu sein berufen sind. […] Der mündige Christ kann nur ein mündiger Bürger sein wollen und er kann auch seinen Mitbürgern zumuten, als mündige Menschen zu existieren.»[1]
Das zweite Tun liegt in der Zumutung, die anderen für mündig zu halten. Gerade in polarisierten gesellschaftlichen Debatten könnte die Kirche einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie Räume für Begegnung schafft. Nicht zur Nivellierung von Differenzen, sondern um überhaupt ein Gespräch möglich zu machen. Wir unterstellen auch denen, die wir nicht verstehen, Mündigkeit. Wir glauben auch an ihre Freiheit.
Ja, es gibt viel zu tun, mit dem wir uns profilieren sollten! Seien wir Hörende. Trachten wir nach dem Reich Gottes, sehnen es herbei, beten, dass es kommt – mit jedem Unser Vater. Und setzen uns denen aus, die anders denken als wir, weil wir weder Wahrheit noch Weisheit gepachtet haben. Damit bezeugen wir das Reich Gottes.
Und es gibt viel zu Lassen! Gelassenheit leben, wo bitterer Ernst waltet. Besserwisserisch und frömmlerisch den Staat in eine Kirche umbauen – das sollten wir lassen. (Verheissen ist uns ja die himmlische Polis, nicht die ewige Kirche!) Auch lassen sollten wir: Politische Parolen als Kirche fassen. So tun als wüssten wir, was gut ist, wo wir doch gehört haben, dass nur einer gut ist. Das können wir lassen. Als konkurrierende Bürgergemeinde braucht uns niemand. Als Christengemeinde braucht uns unsere Bürgergemeinde unbedingt.
Also, zurück zu den Fragen des Dekanats: Wofür setzen wir uns ein in unserer Gesellschaft?
Ich gebe gerne vier Punkte mit:
In einer Gesellschaft, die laut ist, über Schlagworte funktioniert, wo man sich nicht mehr zuhört, muss die Kirche bewusst «Hör-Räume» öffnen.
Zunächst: Räume, um auf Gott zu hören. Wir haben unsere wunderbaren Räume der Stille, die Kirchen. Seien wir mutig: Öffnen wir sie, damit Menschen Ruhe finden und in der Ruhe zu sich und zu Gott kommen. Wir haben unsere reiche liturgische und gottesdienstliche Tradition. Stellen wir uns ehrlich die Frage: Sind unsere Gottesdienste, sind unsere spirituellen Angebote heute so gestaltet, dass sie das Hören auf Gott ermöglichen? Wie entwickeln wir sie weiter damit die Menschen des 21. Jahrhunderts einladen wieder Orte echter Begegnung und Verwandlung werden?
Weiter: Seelsorge als Ort des Zuhörens. In einer Gesellschaft, in der kaum mehr Zeit und Raum für echtes Zuhören bleibt, sind die Kirchen oft die einzigen Orte, wo Menschen wirklich gehört werden – in ihrer ganzen Tiefe, in ihrer Verletzlichkeit.
Und schliesslich: Hören «outside the bubble». Wir müssen zuhören, gerade auch den Stimmen, die unangenehm sind, die unbequem sind, die uns herausfordern. Warum nicht Podien gestalten, die jene zu Wort kommen lassen, die sonst unerhört bleiben?
Äussern wir uns dort, wo wir etwas zu sagen haben. Die EKS spricht bewusst nur dort, wo sie kompetent ist und etwas Substanzielles beizutragen hat. Wir haben uns 2023 entschieden mit unserem Blog online zu gehen. Unsere Haustheologinnen und -theologen und theolgische und andere Expertinnen und Experten der Mitgliedkirchen veröffentlchen theologische Auseinandersetzungen mit aktuellen Themen. Ich hoffe, eine Trouvaille für das Gemeindepfarramt. Aber: wir sind zurückhaltend geworden in Themenfeldern, in denen andere besser sind. Die Politik wartet nicht auf theologische Besserwisser.
Die EKS Synode hat im Juni dem Rat einen Sparauftrag gegeben. Wir sind alle im selben Boot – Gemeinden, Kantonalkirchen und die nationale Ebene: Die Ressourcen werden knapper. Fallen wir jedoch nun nicht in ein Lamento, nehmen wir alle die finanziellen Herausforderungen als strategische Chance: Evaluieren wir sorgfältig, lassen wir Altes los. Mir gefällt das neue Wort, das sich einnistet in unsere Diskussionen: «Exnovation» – als bewusster, mutiger Schritt in die Zukunft.
Wir sind Bürgerinnen und Bürger beider Welten – der Glaubensgemeinschaft und der Bürgergemeinde. Haben wir keine Berührungsängste. Suchen wir bewusst die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren: mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit der Wirtschaft, Kultur. Zum Beispiel in Arosa, wo ihr gemeinsam mit Hoteliers Weihnachtsfeiern organisiert. Oder die Food-waste-Bankette, wo am Erntedank die Bauern das Gemüse und die Warenhäuser die Waren, die sie nicht verkaufen können, den besten Köchen zur Verfügung stellen, diese für die Kirchen kochen, welche den Tisch decken und das Tischgebet halten auf dem Dorfplatz, der von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wird. Herausragend ist auch die schweizweite Zusammenarbeit der Kirchen in Palliative Care, wo wir unsere langjährige Erfahrung in der Begleitung von Leidenden und Sterbenden Personen einbringen und mit dem Gesundheitswesen und der Wissenschaft zusammenarbeiten. Auch die Caring Communities sind ein bestes Beispiel, wie wir mit der «Bürgergemeinde» zusammenarbeiten.
Schliesslich, und nicht zuletzt, müssen wir bewusst heraus aus unseren vertrauten Kreisen: aus der Gemeinde-, der Kantonalkirche, aus der EKS-Bubble. Unser Blick muss auch in die weltweite Kirche gehen. Ein herzliches Dankeschön an die Bündnerkirche, die mit dem Hosting der internationalen Synode von Mission 21 im Jahr 2022 und der CEPPLE der GEKE im nächsten Jahr uns alle daran erinnert, was es bedeutet, Teil des einen Leibes Christi zu sein. Ich bin sicher, dass diese Gastfreundschaft nicht nur viel Arbeit macht sondern auch eine Bereicherung und Ermutigung ist.
Ich, die ich den Schweizer Protestantismus in verschiedenen ökumenischen Gremien vertrete, erlebe es zumindest so.
Gerne möchte ich schliessen mit einer eindrücklichen Begegnung, die ich in den letzten Tagen machen durfte.
Ich bin Mitglied des Zentralausschusses des ÖRK. Am Rand der Konferenz hatte ich ein Gespräch mit einem Priester der koptischen Kirche aus Aegypten. Ich wollte von ihm wissen, wie es seiner Kirche geht, was sie tut, in diesen herausfordernden Zeiten.
Er antwortete mir mit einer Frage:
Wie schmeckt Wasser? Kannst Du es beschreiben?
Ich hatte keine schnelle Antwort bereit.
Er meinte: Schau, wir haben gelernt, uns nicht zu sehr den Kopf zu zerbrechen, wie Wasser beschrieben werden kann, sondern den Menschen Wasser zu trinken zu geben. Denn wenn sie es einmal gekostet haben, werden sie es wiedererkennen und mehr davon wollen.
Und er stellte mir eine weitere Frage:
Du bist allein auf einem dunklen Weg, was brauchst Du? Ich: Licht?
Er: Nein, jemanden, der dich an der Hand nimmt und mit dir den Weg geht. Schau, wir versuchen miteinander diesen dunklen Weg zu gehen und so sind wir glaubwürdig Kirche.
Ich war sehr beeindruckt und ermutigt von der Art und Weise, wie unsere Geschwister im Mittleren Osten Kirche leben und teile dies gerne mit Euch.
Konzentrieren wir uns auf unsere Kernkompetenzen:
Teilen wir das lebendige Wasser, das uns gegeben ist.
Und wenn der Weg dunkel wird, gehen wir ihn miteinander und mit unseren Mitmenschen.
[1] Barth, Karl: Rechtfertigung und Recht/Christengemeinde und Bürgergemeinde/Evangelium und Gesetz, TVZ (1998), 67.
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