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Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich. Eine historische Kirchenkunde 

Das reich bebilderte Buch vermittelt auf fast 500 Seiten viel kirchenkundliches Wissen über die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich. Von den historischen Wurzeln bis zur Gegenwart beleuchtet es Strukturen, Akteure und Reformen in der Kirche, deshalb der Untertitel «historische Kirchenkunde». Für Gemeindeglieder, Theologiestudierende und Interessierte bietet es spannende Einblicke in den Reichtum der Zürcher Kirche.

Die Autoren 

Das Buch hat zwei Autoren, allerdings nicht Co-Autoren, weil sie nacheinander geschrieben haben: Gotthard Schmid (1909-1968) hat in der spärlichen Freizeit neben seinem Gemeindepfarramt in Zürich-Oerlikon eine «Kirchenkunde für Gemeindeglieder» verfasst, die 1954 als Buch erschien. Knapp 70 Jahre später liegt eine erweiterte Neuauflage vor, die sein Enkel Konrad Schmid (*1965), Ordinarius für Altes Testament an der Universität Zürich, inhaltlich bis in die Gegenwart nachgeführt hat.  

Überblick 

Zu den ursprünglich fünf Kapiteln (Kantonalkirche, Kirchgemeinde, Ämter der Gemeinde und der Kirche, Lehre-Bekenntnis-Verfassung, andere Kirchen und christliche Gemeinschaften) sind zwei weitere hinzugekommen (übergemeindliche Aufgaben, andere Religionen). Die sieben Kapitel sind unterteilt in 62 Unterkapitel und reichen von Gebet, Religionsunterricht der Schule über Sigrist/innen und Zürcher Katechismus bis zu Streetchurch, Reformiertes Pilgerzentrum, Orthodoxe Kirchen oder Hinduismus. Ausserdem ermöglicht ein Register eine noch präzisere Suche.  

Man findet also so ziemlich alles, was frau über die Zürcher Kantonalkirche wissen möchte. Es sind nicht alphabetisch angeordnete Lexikonartikel, sondern halb- bis mehrseitige informative Überblicksartikel mit vielen interessanten Details. Konrad Schmid konnte nicht alle gelegten Fäden ebenso detailreich bis ins Heute weiterspinnen, das hätte viele eigene Forschungsarbeit bedingt. Wo er aber Spezialist ist wie bei der Geschichte der Theologischen Fakultät, schöpft er aus dem Vollen.  

Am Schluss jedes Unterkapitels findet sich eine Literaturübersicht. Gotthard Schmid konnte für sein Grundlagenwerk keine aufwändigen Archivstudien betreiben. Um dieses Manko wettzumachen, zog er die vorhandene Fachliteratur, selbst entlegene Titel, heran. Ausserdem sammelte der Pfarrer und Kirchenpolitiker (Synodale, später Kirchenrat) als Zeitzeuge einen reichen Wissensschatz an. Seit 1954 ist die Literatur enorm angestiegen. Da kann nicht alles seither Erschienene aufgelistet werden. Drei Grundlagenwerke seien dennoch ergänzt:  

  • Hannes Reimann, Die Einführung des Kirchengesanges in der Zürcher Kirche nach der Reformation, Zürich 1959 ;  
  • Erika Welti, Taufbräuche im Kanton Zürich, Zürich 1966 ;  
  • Béatrice Grenacher-Berthoud, Der Sigrist: ein volkskundliches Berufsbild mit besonderer Berücksichtigung der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Winterthur 1972. 

Ein Wort zur Bebilderung 

In der 1954 Ausgabe wurden 12 historische Kupferstiche zu liturgischen Zeremonien aus dem 17. Jahrhundert reproduziert. Das Buch von 2023 setzt dagegen mit 55 meist farbigen Abbildungen aus der Gegenwart einen bunten Gegenakzent. So sehen wir Fotos mehrerer Kirchen von aussen und innen, von verschiedenen Gottesdiensten und kirchlichen Handlungen (Taufe, Abendmahl, Notfallseelsorge).  

Eine Handvoll Abbildungen zeigen historische Persönlichkeiten, wie etwa die Reformatoren. Darunter findet sich als einzige Frau die Theologin Rosa Gutknecht (1885-1959). Sie amtete am Grossmünster von 1919 bis 1953 zwar unter der Bezeichnung «Pfarrhelferin», faktisch aber war sie Pfarrerin (wenn auch noch nicht gleichberechtigt): Sie hielt nicht weniger als 402 Gottesdienste, unzählige Taufen, 42 Trauungen, 282 Abdankungen, wie jüngste Forschungen ergaben. Käthi La Roche ist folglich bereits die zweite Pfarrerin an Zwinglis Wirkungsstätte (zu S. 274f.).  

In diesem Abschnitt ist noch ein Datum zu korrigieren: Der Rekurs i.S. Frauenpfarramt an das Bundesgericht erfolgte 1921. Beim falschen Jahr 1923 stützte sich Gotthard Schmid ausgerechnet auf die Zeitzeugin Gutknecht, der die Geschehnisse ein Vierteljahrhundert später auch nicht mehr genau präsent waren.   

Das Thema «Frau»  

Dieses Thema hätte nach Ansicht des Rezensenten stärker gewichtet werden müssen: War der allgemeine Durchbruch der Frauen nicht das wesentliche historische Ereignis des 20. Jahrhunderts, auch in der Zürcher Kirche? Waren die Zürcher Disputation 84 (D 84) und die Schweizerische Evangelische Synode (SES), zwei massgebliche kirchliche Reformbewegungen der 1980er-Jahre, nicht wesentlich von Frauen geprägt? In deren Gefolge entstand die Oekumenische Frauenbewegung Zürich (OeFZ). In diesen Jahren begann auch die Feministische Theologie Fuss zu fassen. Gotthard Schmid widmete der «Frauenfrage» noch ein spezielles Kapitel, jetzt finden sich verstreut Informationen dazu. War die Zürcher Staatskirche von 1954 noch eine «Männerkirche», so ist sie es heute nicht mehr. Hätte das alles nicht in einem eigenen Kapitel gebündelt gewürdigt werden müssen als wichtiger Pfeiler der heutigen Zürcher Landeskirche? 

Diese Bemerkungen schmälern jedoch keineswegs den Eindruck, dass das Remake des Buchprojektes gelungen ist. Das hängt auch damit zusammen, dass beide Autoren zur theologisch liberalen Richtung gehören. Sie teilen nicht nur das gleiche Kirchenverständnis. Das Lesepublikum kann ihre Liebe zur Zürcher Kirche im Buch immer wieder wahrnehmen.  

An wen richtet sich das Buch?  

Gotthard Schmid schrieb es explizit für die Gemeindeglieder. Diese interessierten Aktiv- und Passivmitglieder sind immer noch angesprochen. Aber mehr noch als vor 70 Jahren sei dieses Buch insbesondere kirchenfremden Personen, Andersgläubigen, Journalistinnen ans Herz gelegt. Sie finden darin Antworten auf Fragen wie: Was bedeutet reformiert auf Zürcherisch? Und ausserkantonale Interessierte kommen ebenfalls auf ihre Rechnung, denn die Zürcher Kirche hatte für die Reformierten in der Schweiz oft eine Vorbildrolle. Nicht zuletzt nehmen auch Theologiestudierende den Band mit Gewinn zur Hand, wenn sie sich etwa auf das Examen vorbereiten. So hat es Co-Autor Konrad Schmid schon 1987 vorgemacht. 

Pierre Aerne forscht und publiziert zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (u.a. christlich-jüdisches Gespräch, Frauenpfarramt und Frauenstimmrecht, kirchenpolitische Richtungen)  

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Gotthard Schmid / Konrad Schmid, Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich. Eine historische Kirchenkunde, TVZ Zürich 2023 

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Pierre Aerne

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