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Eine Freundin sagte mir, sie könne News nicht mehr hören, so schnell reihten sich die Themen aneinander: Anstatt ein nützliches Bild der Aktualität zu zeichnen, erschlägt uns der Informationsfluss und hinterlässt uns mit Kopfschmerzen.
Die Diskussion um Fake News, der latente Skeptizismus und die Popularisierung generativer KI-Technologien schlagen noch eins ein : Der Fluss ist bereits überwältigend, aber obendrein erweist er sich als unzuverlässig. Man kann (darf!) ihm nicht vertrauen.
Diese Situation bringt Orientierung in Krise – und auch Wahrheit ? Wenigstens ihre Zuverlässigkeit für den Alltag. Und der Alltag wird schwierig.
Diese allgemeine Wahrnehmung stand hinter der Organisation einer Podiumsdiskussion, die von der Ahmadiyya-Gemeinde in Dieburg unter dem Titel „Das Ende der Wahrheit“ veranstaltet wurde.
Wie es in der Veranstaltungsbeschreibung hiess : « In einer Welt, in der die Wahrheit immer widersprüchlich relativiert wird und digitale Manipulation unsere Wahrnehmung der Realität prägt, stellt sich die Frage: Wie finden wir Orientierung und Halt in einer Ära, die von Unsicherheit und Informationsflut bestimmt wird? »
Das Podium sollte diese Frage diskutieren und dabei philosophische, theologische, wissenschaftstheoretische und ethische Perspektiven einbeziehen.
Ich wurde eingeladen, eine ethisch-theologische Perspektive einzubringen, anhand der beiden Fragen:
Die Frage nach der Rolle der Ethik angesichts einer Lage, in der die Verlässlichkeit von Informationen verschwunden ist, bedeutet zunächst, sich über die Abhängigkeit der Ethik von Informationen im Klaren zu sein.
Wir bilden unsere Urteile und treffen Entscheidungen auf der Grundlage von Wissen und Informationen. Unsere kognitiven und volitiven Aktivitäten sind auf externe Daten angewiesen: Information ist Material das wir verarbeiten und das uns formt.
Was wir „Information“ nennen, wird uns nie in roher Form gegeben: Daten werden immer übermittelt, geformt. Weit davon entfernt, Fakten neutral darzustellen, sind Informationen das Ergebnis intersubjektiver Arbeit – eine Konstruktion. Sie sind stets durch bestimmte Hände gegangen, sind von einer Perspektive geprägt, entsprechen einen gegebenen Rahmen.
Keine ethische Handlung kann diese grundlegende Abhängigkeit von Informationen oder deren konstruierten Charakter ignorieren. Ethik kann nicht auf einer angenommenen Durchsichtigkeit beruhen, sondern muss sich in einem Rahmen der Intransparenz bewegen – im Bewusstsein, dass jede normative Ausrichtung in einem Raum geformt wird und stattfindet, der durch die Vermittlung von Informationen geprägt ist.
Die Digitalisierung, oft als Paradigmenwechsel wahrgenommen, setzt eine ältere Logik der Produktion und des Konsums von Informationen fort, die mit den Massenmedien begann. Sie bringt jedoch eine Beschleunigung, Verdichtung und nunmehr eine Automatisierung (durch künstliche Intelligenz) dieser Logik mit sich.
Diese Beschleunigung irritiert unsere Erwartungen an die Informationsökonomie, die auf dem Ideal der Untersuchung und ausgewiesenen Recherche sowie der Überprüfung basierte. Es ist die Figur des Journalisten als öffentlicher Diener der Kritik im Streit um die Wahrheit (Kant: Palladium der Volksrechte) in der demokratischen Gesellschaft, die am stärksten von dieser Entwicklung betroffen ist.
Die Ethik muss daher zunächst die Beunruhigung bedenken, die mit dieser Krise einhergeht: Die Krise des Journalismus im digitalen Zeitalter zeigt deutlich, in welchem Mass wir der Manipulation zustimmen müssen, wenn wir informiert bleiben wollen – und somit weiterhin am öffentlichen Diskurs teilzunehmen.
Es ist nicht so sehr die Manipulation an sich, die uns beunruhigt – sie ist zu einem gewissen Grad jeder Kommunikation inhärent –, sondern die Tatsache, dass wir uns als Objekt in einem Manipulationszusammenhang entdecken.
Was uns beunruhigt ist dass unsere Wünsche, Urteile und unsere Vorstellungskraft durch Informationsflüsse geprägt werden, denen wir uns nur schwer entziehen können – wo deren Entzug einen hohen Preis fordert (bis hin zur Sprachlosigkeit).
Was wir in diesem Unbehagen entdecken, ist, dass Information etwas mit uns und unserer Wahrnehmung macht.
Verstärkt wird diese Problematik durch psychologische Schutzmechanismen, die unsere Identität bewahren sollen – was in der Forschung als identitätsschützende Kognition beschrieben wird.
Menschen neigen dazu, Informationen so zu verarbeiten, dass sie mit ihrem Weltbild und ihren Gruppenzugehörigkeiten übereinstimmen. Daraus resultieren Filterblasen und Echokammern, in denen das Bemühen um Wahrheit dem Streben nach Bestätigung weicht.
Dies führt uns zu einer ersten Handlungsmöglichkeit der Ethik: eine Distanz zwischen Information und Person zu gewinnen und aufrechtzuerhalten.
Distanz bedeutet, dass die Person immer mehr, weniger oder etwas anderes ist als diejenige, als die sie durch die Information erscheint. Es geht darum, ein zweites Mal zuzuhören, erneut zu hinterfragen, die Möglichkeit der Überraschung offen zu halten.
Diese Distanz ist die Voraussetzung für das gegenseitige Mitteilen in einem, durch derselben Distanz, geteilten Raum. Ohne diese Distanz, von Informationen überflutet, verschwinden Begegnung und Person – und wir mit ihnen.
Eine Konsequenz dieser Perspektive könnte die Aufwertung des Dialogs und damit die Förderung der Dialogfähigkeit sein, als Antwort auf ein Umfeld, das durch Misstrauen und Fragmentierung geprägt ist – Dialog als Akt der Wiederherstellung eines gemeinsamen Bezugsraums, in dem Differenz nicht verleugnet, sondern als Bedingung von Gemeinsamkeit anerkannt wird.
Aber sobald man das gesagt hat, muss man sogleich die grosse Prekarität dieser Perspektive im Blick nehmen : nichts gründet diese Differenz, ausser die Handlung die den Raum schafft in der Hoffnung ihrer Entdeckung. Distanz.
Orientierung meint „Norm“, gemeinsame Referenz, Hinweis auf das, was dem Vertrauen seinen Grund gibt. So ein möglicher – und nachvollziehbarer – Gedanke.
Angesichts der Intransparenz der alltäglichen Kommunikation kann es daher nahe liegen, die Theologie um eine Referenz zu bitten, die alle anderen Referenzen übersteigt. Transzendenz einführen, wenn Immanenz nicht genügt.
Aus protestantischer Sicht kann die Theologie weder normative Rahmen letztbegründen noch kategorisch verwerfen. Sie beansprucht nicht den Status einer universellen moralischen Instanz, noch verkörpert sie einen dauerhaften Gegensatz zu jeglicher Form sozialer Normativität.
Für ist folgender Punkt entscheidend: Jeder Versuch, einen ethischen Rahmen theologisch positiv oder negativ festzuschreiben, beansprucht notwendig, aus der Perspektive Gottes zu sprechen.
Dagegen begreift sich protestantische Theologie als das beständig neue Hören auf Gottes Wort, als Gefangenschaft gegenüber diesem Wort (Luther).
In dieser Perspektive hat die Theologie nicht die Aufgabe, eine normative Ordnung zu schaffen, zu bewahren oder zu verwerfen. Vielmehr soll sie auf ein Verhältnis zur Wahrheit hinweisen, das in erster Linie „existenzieller“ Natur ist – das sich im Zeitraum der Beziehung und des Ereignisses entfaltet.
In Jesus Christus, der Weg, Wahrheit und Leben ist (Joh 14,6), erscheint die Wahrheit nicht als ein System von Aussagen, sondern als eine eigentümliche Lebensform. Es ist eine Wahrheit, die man nicht besitzt, sondern die in der interpersonalen Begegnung empfangen und geteilt wird – eine Wahrheit die sich daraus auszeichnet das sie lebendig macht. (Sehe die vom Theologen Reinhold Bernhardt verfasste Position der EKS, ehemalig SEK, Wahrheit in der Offenheit. Der christliche Glaube und die Religionen, 2007)
Angesichts von Informationssättigung besteht die Aufgabe der Theologie darin, das Wort wieder hörbar zu machen, der Vielfalt und Authentizität der Stimmen Raum zu geben und sie vor dem Verstummen und Überhören zu schützen.
Dies kann sie tun, indem sie den Strom unterbricht, Schwellen schafft, unverdrossen betet und schweigt, Raum und Abstand gestaltet – ein Abstand, der es ermöglicht, einen Ruf zu hören, der durch den Informationsfluss ausgeschlossen ist. Die Unterbrechung, das Zögern, das Innehalten zeichnen sich aus als praktische Formen theologischer Erkenntnis.
Damit kann man den Begriff einer epistemischen Demut verbinden: Wer glaubt, besitzt die Wahrheit nicht, sondern stellt sich ihr aus – in der Haltung des Empfangens. Diese Haltung ist angesichts der vorher erwähnten Flut an Information nicht Rückzug, sondern aktiver Beitrag zur Kultivierung eines hörenden, unterscheidenden Denkens im öffentlichen Raum.
Relativierung ist für den protestantischen Glauben nicht per se problematisch. Doch muss man dabei unterscheiden: Nicht jede Form der Relativierung gleicht sich.
Einige Formen eröffnen einen Raum für die Begegnung und das Teilen. Andere Formen hingegen übersättigen diesen Raum, indem sie Wahrheit auf eine ideologische, wirtschaftliche oder identitäre Funktion reduzieren.
Hier hat die christliche Theologie eine kritische Rolle: Indem sie sich an das in Jesus Christus gegebene Wort Gottes binden lässt, kann sie der Schliessung der Wahrheit auf sich selbst – sei diese technische, moralische, kulturelle oder sogar existenzielle Art – widerstehen.
Sie ruft zu offenen Verbindungen auf, die nicht in Besitz münden oder bestehen, sondern im Bund ihre eigentümliche Form haben – eine Verbindung, die das Gegenüber nicht auslöscht, sondern in seiner unaufhebbaren Einzigartigkeit anerkennt, im Akt der Zuwendung.
In diesem Sinne bietet christliche Theologie keine zu verteidigende Wahrheit an, sondern nährt eine Haltung der Offenheit, eine Aufmerksamkeit für das, was sich nicht vereinnahmen lässt und uns dennoch anspricht. Und so auf Raum und Verzögerung hinweist.
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