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Frei Bekennen: 1700 Jahre Nicänum

Was hält eine Glaubensgemeinschaft zusammen? Vor 1700 Jahren, im Jahr 325 n. Chr., wurde auf dem Konzil von Nicäa ein Grundstein gelegt, der bis heute trägt. Das Nicänische Glaubensbekenntnis war nicht nur ein Meilenstein theologischer Klärung, sondern auch ein politisches Instrument, das Einheit inmitten von Streit und Spaltung schaffen sollte. Es brachte die Kirche dazu, sich auf zentrale Glaubenswahrheiten zu verständigen, die inmitten von Konflikten Stabilität und Orientierung boten. Das Jubiläum des Nicänums erinnert daran, dass Bekenntnisse nicht einfach Formeln sind, sondern lebendige Ausdrucksformen des Glaubens. Sie fordern uns heraus, eine Balance zwischen der Treue zur Tradition und der Freiheit individueller Überzeugungen zu finden. In einer Zeit, in der gesellschaftliche und theologische Spannungen zunehmen, bietet dieses Jubiläum eine Chance, den Wert gemeinsamer Glaubensinhalte neu zu bedenken und sie als Fundament für Dialog, Verbundenheit und Erneuerung zu verstehen.

Nicäa – Von der Spaltung zur Einheit

«Die Einheit der Kirche wurde zur Voraussetzung für die Stabilität seines Reiches.»

Im 4. Jahrhundert erschütterte der Arianische Streit die Kirche. Arius, ein Presbyter aus Alexandria, lehrte, dass Christus als geschaffenes Wesen dem Vater untergeordnet sei und nicht wesensgleich (homoousios) mit ihm. Diese Lehre stellte die Trinitätslehre infrage und spaltete die Kirche. Für Kaiser Konstantin, der 324 n. Chr. die Alleinherrschaft über das Römische Reich errungen hatte, war diese Spaltung eine Bedrohung. Die Einheit der Kirche wurde zur Voraussetzung für die Stabilität seines Reiches. Mit der Einberufung des Konzils von Nicäa setzte Konstantin ein machtpolitisches Zeichen: Die Kirche sollte nicht nur theologisch, sondern auch politisch geeint werden.

Ein Glaubensbekenntnis für das Reich

Das Konzil versammelte etwa 200 bis 300 Bischöfe, überwiegend aus dem östlichen Reich. Unter Konstantins Einfluss verabschiedete das Konzil das Nicänum, das die Wesenseinheit von Vater und Sohn festlegte: «Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.» Die politische Dimension des Bekenntnisses war unverkennbar. Es diente nicht nur der theologischen Klärung, sondern auch der Legitimation der Kirche als Reichsinstitution. Konstantins Eingreifen in die Diskussionen verdeutlichte, wie eng kirchliche und politische Stabilität miteinander verwoben waren. Das Nicänum war ein erster Schritt, doch die theologischen Debatten gingen weiter. Erst auf dem Konzil von Konstantinopel (381 n. Chr.) wurde das Nicänische Glaubensbekenntnis erweitert und um die Lehre vom Heiligen Geist ergänzt. Dieses Nicäno-Konstantinopolitanum wurde zum verbindenden Glaubensbekenntnis für orthodoxe, katholische und viele evangelische Kirchen.

Die Reformation und die altkirchlichen Bekenntnisse

Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts sahen sich nicht als Schöpfer eines neuen Glaubens, sondern als Erneuerer des ursprünglichen Christentums. In der Confessio Augustana (1530), dem grundlegenden Bekenntnis der lutherischen Reformation, wird das Nicänum ausdrücklich anerkannt. Artikel 1 erklärt: «Zuerst wird einträchtig laut Beschluss des Konzils von Nizäa gelehrt und festgehalten, dass ein einziges göttliches Wesen sei, das Gott genannt wird und wahrhaftig Gott ist, und dass doch drei Personen in diesem einen göttlichen Wesen sind, alle drei gleich mächtig, gleich ewig: Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist.» Auch das Zweite Helvetische Bekenntnis (1566), das in der Schweiz zentrale Bedeutung erlangte, bemühte sich ausdrücklich um die Übereinstimmung der eigenen Lehre mit den Grundlagen der ersten Konzile: «Wir glauben mit aufrichtigem Herzen und bekennen frei und offen mit dem Munde, was in den Bekenntnissen der vier ersten und bedeutendsten Kirchensynoden von Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon, sowie im Bekenntnis des seligen Athanasius und allen ähnlichen Bekenntnissen über das Geheimnis der Menschwerdung unseres Herrn Jesus Christus nach der Heiligen Schrift festgestellt und enthalten ist, verwerfen dagegen alles, was diesen widerspricht.» (Artikel 11) Gleichzeitig wurde das Nicänum reformatorisch neu akzentuiert: Die Rechtfertigung allein aus Glauben und die alleinige Autorität der Schrift rückten in den Vordergrund. So verbanden die Reformatoren Tradition mit den zentralen Anliegen der Reformation. Für die Reformatoren war das Nicänum nicht nur eine theologische, sondern auch eine identitätsstiftende Grundlage. Es zeigte ihre Verbindung zur Alten Kirche und legitimierte ihre Abgrenzung von Rom.

Ein schweizerischer Sonderweg: Der Apostolikumsstreit

«In vielen Schweizer Landeskirchen wurde das Apostolikum aus der Liturgie gestrichen oder seine Verwendung als optional erklärt.»

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entzündete sich in den reformierten Landeskirchen der Schweiz ein heftiger Streit um das Apostolische Glaubensbekenntnis. Liberale Theologen forderten dessen Abschaffung und kritisierten es als unzeitgemäss. Sie argumentierten, das Credo sei nicht apostolischen Ursprungs und ignoriere zentrale protestantische Anliegen wie die Rechtfertigungslehre und die Ethik Jesu. Die sogenannten positiven Theologen hielten dagegen. Sie verteidigten das Apostolikum als prägnante Zusammenfassung der «historischen Tatsachen» des Lebens und Wirkens Jesu Christi und sahen darin ein Band der Einheit zwischen den christlichen Konfessionen. In vielen Schweizer Landeskirchen wurde das Apostolikum aus der Liturgie gestrichen oder seine Verwendung als optional erklärt. Damit hat auch das Nicänum seine Bedeutung vollends verloren. Anders als in Deutschland, wo das Credo seinen Platz behaupten konnte, setzte sich in der Schweiz der theologische Liberalismus durch. Bis heute berufen sich die meisten reformierte Kirchen der Schweiz in ihren Verfassungen allein auf die Heilige Schrift als Bekenntnisgrundlage.

Ausblick: Ergründen, was trägt

Kein Bekenntnis konnte die konfessionellen Spaltungen verhindern und als Ausdruck politischer Macht sind sie schädlich. Die Geschichte des Christentums zeigt, dass Einheit nicht in starren Formen oder Formulierungen bewahrt werden kann. Einheit braucht Widerspruch, Auseinandersetzung, sie erfordert die Bereitschaft zum Dialog und beinhaltet das Risiko des Dissens. Aber Zusammengehörigkeit verlangt auch eine gewisse Treue zu dem, was unsere Vorfahren uns zu glauben und zu denken aufgegeben haben. Ernsthaftigkeit und Verbundenheit Das Ringen um Glaubenswahrheiten ist keine blosse Übung in dogmatischem Eifer. Es zeigt die tiefe Verbundenheit der Kirche mit ihrer Geschichte und den ernsthaften Wunsch, den Glauben verständlich und relevant darzustellen. Der liberalen Theologie verdanken wir die dazu notwendige Freiheit: Glaube ist nur dann wirklich Glaube, wenn er individuell verstanden und angenommen wird. In dieser Freiheit sind wir als Kirchen aber erst recht verantwortlich, den Glauben bewusst und gemeinschaftlich zu reflektieren und zu bekennen. Das 1700-Jahr-Jubiläum des Nicänums bietet eine Chance, diese Freiheit nicht als Bekenntnislosigkeit zu deuten, sondern als eine Einladung zur persönlichen und gemeinsamen Auseinandersetzung mit unserem Glauben. Es fordert uns heraus, zu ergründen, was uns trägt und verbindet – verwurzelt in einer starken Tradition, offen für die Gegenwart. In diesem Beitrag finden Sie Unterlagen und Informationen rund um das 1700-Jahr-Jubiläum des Nicänums.

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Autor:in

Stephan Jütte

Stephan Jütte

Dr. theol., Leiter Theologie und Ethik, Mitglied der Geschäftsleitung

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