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Wie lässt sich über den Israel-Palästina-Konflikt nachdenken, ohne in die Falle moralischer Vereinfachung zu tappen? Dieser Beitrag beleuchtet, warum der Ruf nach Gewaltlosigkeit oft ins Leere läuft – und weshalb stattdessen Festigkeit, Entschiedenheit und differenzierte Reflexion gefragt sind. Ausgehend von Stimmen wie Elad Lapidot, Wolfgang Lienemann und Omri Boehm wird deutlich: Der Nahostkonflikt ist mehr als ein geopolitisches Drama. Er spiegelt globale Narrative über Schuld, Gerechtigkeit und Erinnerung – und stellt auch uns vor unbequeme Fragen. Gerade kirchliche und theologisch-ethische Stimmen können in diesem Spannungsfeld einen Beitrag leisten: nicht durch schnelle Urteile, sondern durch das Bestehen auf Ambivalenz, Komplexität und die Anerkennung politischer Tatsachen.
«Das Gegenstück zur Gewalt liegt nicht in Gewaltlosigkeit, sondern in Festigkeit, Entschiedenheit, Geistesgegenwart – in lauter ganz banalen Handlungsmustern.»
Aron Ronald Bodenheimer[1]
«Versuche, komplexe Gedanken zu formulieren, insbesondere zu gewaltsamen politischen Situationen, werden allzu leicht ins Lächerliche gezogen. Diese Verächtlichmachung ist ein Teil der Gewalt – ein Widerstand gegen das Denken. Wenn wir Intellektuelle der Naivität oder Radikalität bezichtigen, polemisieren wir oft gegen Karikaturen, die wir selbst geschaffen haben, und spiegeln unsere eigenen Gedanken wider, die die einzige Realität sind, auf die sich unsere Kritik bezieht. Wir müssen über uns selbst hinauslesen.»
Elad Lapidot[2]
«Ich verfolge seit den 1960er Jahren diesen Konflikt mit zunehmender Ratlosigkeit und wäre nie auf den Gedanken gekommen, dazu von mir aus etwas zu veröffentlichen.»[3] Die Zurückhaltung des emeritierten Berner theologischen Ethikers Wolfgang Lienemann teilen gewiss viele, die sich in der Vergangenheit aus theologisch-ethischer Perspektive – erst recht im deutschen oder deutschsprachigen Kontext – zum Nahost-Konflikt geäussert haben. Das Zögern betrifft einerseits die untrennbare Verbindung zwischen der Existenz des Staates Israel und der Schoa und andererseits die theologische Versuchung, die Realpolitik des Staates Israel mit den Fügungen des biblischen Gottesvolks zu identifizieren. Das Nachdenken über Israel und Palästina steht – nicht nur in der Theologie – in einem mindestens fünffachen Verweisungszusammenhang: (1.) Aus theologischer Sicht ist das Judentum das in der Bibel bezeugte auserwählte Gottesvolk. (2.) Aus religionsgeschichtlicher Optik konstituiert sich das Christentum im Austausch mit und in Abgrenzung gegenüber dem Judentum. (3.) Aus historischer Perspektive bildet das christliche Denken in Europa die wesentliche Quelle für einen (religiös-kulturellen) Antijudaismus, (ethnisch-sozialen) Antisemitismus und (politischen) Antizionismus. (4.) In politischer Hinsicht können die Geschichte und Situation Israels und Palästinas – ungeachtet aller Unterschiede – mit analogen theoretischen Konzepten der Diskriminierung, Unterdrückung, Vertreibung und Liquidierung beschrieben und analysiert werden. Und (5.) aus ethischer Perspektive prallen die historisch begründete politische Verantwortung gegenüber Israel auf die humanitäre Verantwortung für die unterdrückte, heimat- und perspektivlose palästinensische Bevölkerung. Äusserungen zum Nahost-Konflikt bewegen sich in diesem Spannungsfeld theologischer, religionsgeschichtlicher, kultureller, politischer, rechtlicher und ethischer Bezüge, die untrennbar zusammengehören und zwischen denen nicht gewählt werden kann.
Im Folgenden geht es nicht um kirchliche Positionen zum aktuellen Israel-Gaza-Konflikt, sondern um die Frage, wie über darüber reflektiert werden und was aus dem Nachdenken für den Umgang mit dem Konflikt folgen kann. Kirchen können theoretisch wenig zur Konfliktlösung beitragen, aber einiges für ein besseres Konfliktverständnis. Wenn ein Gewaltkonflikt in einer anderen Weltregion im eigenen Land zu demonstrativem Schweigen oder zu aggressiven und bedrohenden Angriffen führen, spricht einiges für die Vermutung, dass der auslösende Gewaltkonflikt viel mehr mit dieser Gesellschaft zu tun hat, als die geographische Entfernung vermuten lässt. Gerade aus kirchlicher Sicht lohnt es sich, über die eigenen Konfliktbezüge und Konfliktreaktionen nachzudenken.
Angesichts der komplexen Hintergründe des Konflikts hatte der Philosoph Jürgen Habermas in einem Interview in «Haaretz» von 2012 die Frage nach seiner Sicht auf die aktuelle israelische Politik mit der Bemerkung zurückgewiesen, eine solche Beurteilung sei nicht «the business of a private German citizen of my generation».[4] In der Vorrede zur deutschen Ausgabe seines kontrovers diskutierten Buches «Israel – Eine Utopie»[5] deutet der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm die Antwort als Respektgeste des Bürgers einer Nation, die den Holocaust zum politischen Programm erhoben hatte, in einem Land, in dem die Überlebenden der Schoa eine neue Heimat gefunden haben. Allerdings stelle Habermas’ Begründung, dass ihm als Deutscher und als Zeitgenosse des Nationalsozialismus kein Urteil zustehe, einen Rückschritt hinter die Aufklärung dar. Denn durch die Selbstzurücknahme würde – mit den Worten Theodor W. Adornos – «in aller Unschuld [der] Begriff der Aufklärung eingeschränkt durch jenes fatale ‹als›, das in unserer Gegenwart ja auch eine so bedenkliche Rolle spielt, wenn etwa Menschen in Diskussionen sagen: ‹ich als Deutscher kann das und das nicht akzeptieren›, oder: ‹ich als Christ muss mich in dieser Sache so und so verhalten›. Dieses prädikative ‹als› bedeutet vorweg eine Einschränkung der Vernunft im Sinn der arbeitsteiligen Position, in der die Menschen jeweils sich befinden; die Einschränkung der Aufklärung, um die es sich hier handelt, ist also in der Tat eine der Arbeitsteilung.»[6] Die Arbeitsteilung weist der aufklärerischen Vernunft begrenzte Zuständigkeitssphären zu und bestreitet damit ihren universalen Anspruch und ihre uneingeschränkte Geltung. Darüber hinaus präsentiert sie ein Schema, das in vielen Kontroversen über Israel und Palästina begegnet und in drei Varianten auftaucht:
(1.) Das neutralisierende «als»: Boehms Vorwurf gegen Habermas lautet: «[E]r weigert sich, den Standpunkt der Aufklärung einzunehmen, sobald er sich mit jüdischen Angelegenheiten beschäftigt. Er weigert sich buchstäblich, selbst zu denken.»[7] Mit dem selbstimmunisierenden «als» (der Person X im Blick auf einen Gegenstand Y) entzieht sich die Person einem Diskurs und beansprucht für sich ein Urteilsinterim.
(2.) Das solidarisch-paternalistische «als», mit dem eine Person oder Gruppe ihre Solidarität gegenüber benachteiligten und prekarisierten Personen und Gruppen begründet. Mit dem selbstautorisierenden «als» (der Person X stellvertretend für das Opfer Y) beansprucht die Person, die Interessen der Opfer in legitimer Weise wahrzunehmen und zu vertreten.
(3.) Das stratifizierende «als», mit dem – im Anschluss an Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik[8] – moralische Forderungen und ihre politische Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit gegeneinander abgewogen werden. Mit dem funktionalen «als» (der Person X in der Rolle/Funktion Y) positioniert sich die Person in alternativen Handlungs- und Rechtfertigungsräumen.
Viele Kontroversen in den Israel-Palästina-Debatten resultieren aus der Inkompatibilität dieser Selbstverortungen und -zuschreibungen. Dabei täuscht das gleiche Vokabular in den Diskussionen darüber hinweg, dass es eine arbeitsteilig organisierte, gemeinsame Aufgabe nicht gibt. Die durch die verschiedenen «als»-Perspektiven konstituierten Sprachspiele sind inkommensurabel und lassen sich nicht wie kontroverse Meinungen in einem Streitgespräch aufeinander beziehen. Wenn eine Argumentation etwa darauf zielt, das Vorgehen der israelischen Regierung als Ausdruck ihres souveränen Selbstverteidigungsrechts zu verteidigen, rückt die Situation der Bevölkerung im Gazastreifen in den Hintergrund. Wenn umgekehrt die Not der Palästinenser:innen im Zentrum steht, bleibt die Bedrohung Israels durch palästinensische Terrorgruppen und Milizen aussen vor. Dichotome Sichtweisen sind zwar nicht zwingend, aber werden durch die Einnahme von «als»-Perspektiven forciert, weil der eingenommene Standort den Standpunkt vorwegnimmt, der im Diskurs vertreten wird. Die Diskussionen im Israel-Palästina-Konflikt sind in der grossen Mehrzahl Weltbild-Bestätigungsdebatten, die grundsätzlich auch in ganz anderen Zusammenhängen geführt werden könnten. Gleichzeitig scheitert die alternative Einnahme eines verallgemeinerbaren Metastandpunktes (jenseits der «als»-Identifikationen) daran, dass sich die heterogenen, standortgebundenen Perspektiven nicht in einen Metadiskurs überspielen lassen.
Die Diskussionen im Israel-Palästina-Konflikt sind in der grossen Mehrzahl Weltbild-Bestätigungsdebatten, die grundsätzlich auch in ganz anderen Zusammenhängen geführt werden könnten.
Boehms Einwand aus der New Yorker Zweigstelle gegenüber Habermas aus der Frankfurter Zentrale appelliert an den gemeinsamen Standpunkt einer selbstaufgeklärten Vernunft. «Gerade weil das aufklärerische Denken seit seinen frühesten Anfängen vom Antisemitismus heimgesucht wurde – insbesondere aufgrund seiner permanenten Versuchung, Juden als ein mythisches ‹Anderes› zu behandeln –, läuft die Unterdrückung öffentlicher Kritik am jüdischen Staat Gefahr, in eine vertraute Falle zu gehen. Die Aufgabe der deutschen Intellektuellen besteht wegen und nicht trotz der deutschen Geschichte darin, sich mit Israel im Forum der öffentlichen rationalen Diskussion auseinanderzusetzen, und gerade nicht darin, es in irgendeine metaphysische Sphäre auszulagern, von der man nicht sprechen kann und über die man schweigen muss. […] Kants eigenes Denken – das der Privatperson, nicht seine Philosophie – war selbst mit Antisemitismus infiziert, aber genau das ist ja der Punkt: Er und andere Aufklärer neigten dazu, couragiert für einen aufklärerischen Universalismus einzutreten, dann aber die Juden als ein diesem Universalismus fremdes Element und damit als das ‹Andere› der Aufklärung zu denken. Das ist die Falle, von der ich spreche, und man sollte nicht ein zweites Mal hineintappen, indem man eine allgemeingültige Ethik formuliert und dann die Juden als Ausnahme behandelt. […] Gerade wegen der historischen Beziehung zwischen dem Denken der Aufklärung und dem Antisemitismus stellt sich dies als ultimativer Test für das aufgeklärte Denken selbst dar.»[9]
Das engagierte Plädoyer für eine vernünftig-emanzipatorische Einmischung ist selbst ambivalent (dialektisch), weil es unterstellt, dass die Ohnmacht der Vernunft gegenüber den Tatsachen mit eben dieser Vernunft therapiert werden könne. Gegen Boehms Gewährsmann Immanuel Kant setzt Hannah Arendt auf den Aufklärungskritiker Gotthold Ephraim Lessing, der für eine Gesinnung eintritt, «die immer Partei ergreift im Interesse der Welt, ein jegliches von seiner jeweiligen weltlichen Position her begreift und beurteilt und so niemals zu einer Weltanschauung werden kann, die von weiteren Erfahrungen der Welt unabhängig bleibt, weil sie sich auf eine mögliche Perspektive festgelegt hat».[10] So sehr der Schlaf der Vernunft Ungeheuer gebiert (Goya), so unbestreitbar kommt das Ungeheuerliche nicht als Theorien, sondern in Praktiken auf die Welt. Zwar macht das Ungeheuerliche nicht vor der Person halt – «Was ich bewirke, begreife ich nicht; denn nicht, was ich will, treibe ich voran, sondern was ich hasse, das tue ich.» (Röm 7,15) –, aber in der Politik geht es nicht um Introspektion, sondern um das, was zwischen den Personen stattfindet, und das, was sich Personen gegenseitig antun.
Bei der von Boehm angemahnten Einmischung kann es für Arendt nicht um Vernunft- oder moralische Wahrheiten gehen, sondern um eine Wahrheit, die auf die realen Tatsachen zielt. «[U]m die Chancen der Tatsachenwahrheiten, dem Angriff politischer Macht zu widerstehen, ist es offenbar sehr schlecht bestellt. Tatsachen stehen immer in Gefahr, nicht nur auf Zeit, sondern möglicherweise für immer aus der Welt zu verschwinden. Fakten und Ereignisse sind unendlich viel gefährdeter als was immer der menschliche Geist entdecken oder erinnern kann […]. […] Sind sie erst einmal verloren, so wird keine Anstrengung des Verstandes oder der Vernunft sie wieder zurückbringen können.»[11] Politik beruht auf Meinungen über Tatsachen und nicht auf zeit- und subjektlosen Wahrheiten, deren Unabhängigkeit von den Meinungen «die Axt an die Wurzeln aller Politik und der Legitimität aller Staatsformen legt».[12] Arendts Betonung der Meinungen als Grundlage der Politik hat nichts zu tun mit den aktuellen Meinungsindustrien und ihren Selbsttherapien durch Faktenchecks. Für die Philosophin gehört es zum «Wesen der menschlichen Angelegenheiten […], [d]ass Menschen Tatsachen, die ihnen wohl bekannt sind, nicht zur Kenntnis nehmen, wenn sie ihrem Vorteil oder Gefallen widersprechen […]. […] Es ist, als seien Menschen gemeinhin ausserstande, sich mit Dingen abzufinden, von denen man nicht mehr sagen kann, als dass sie sind, wie sie sind – und in einer nackten, von keinem Argument und keiner Überzeugungskraft zu erschütternden Faktizität.»[13] Das Paradox, dass Tatsachen einerseits nur über Meinungen zugänglich sind und kommuniziert werden, und anderseits Tatsachen nur von Meinungen in Zweifel gezogen, bestritten oder verkehrt werden können, ist ein Merkmal von Politik. Deshalb spricht Arendt nicht von Tatsachen an sich (die es nicht gibt), sondern von Tatsachenwahrheit. Diese handelt «von rein menschlichen Dingen, betrifft Ereignisse und Umstände, in die viele Menschen verwickelt sind, und ist abhängig davon, dass Menschen Zeugnis ablegen; selbst wenn es sich um rein ‹private› Tatbestände handelt, macht sie ihre Wirklichkeit erst geltend, wenn sie bezeugt und Gegenstand einer Kundgebung geworden sind. Die Tatsachenwahrheit ist von Natur politisch. […] Tatsachen sind der Gegenstand von Meinungen, und Meinungen können sehr verschiedenen Interessen und Leidenschaften entstammen, weit voneinander abweichen und doch alle noch legitim sein, solange sie die Integrität der Tatbestände, auf die sie sich beziehen, respektieren. Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.»[14]
Wahrheit markiert die Geltungsansprüche von Meinungen über Tatsachen, die das Fundament politischer Macht bilden und die umstritten sind. Gegenüber der Evidenz von Vernunftwahrheiten, lässt sich bei Tatsachenwahrheiten nicht begründen, warum ein Tatbestand so «ist, wie er eben ist».[15] Auch wenn es ernüchternd und bescheiden klingt, geht es in der Politik wesentlich darum, die Tatsachen nicht zu ignorieren, zu verhüllen oder zu verkehren, sondern in ihrer Faktizität anzuerkennen. Vor dem Hintergrund erhält die Aufforderung an Habermas eine andere Pointe. Die von Boehm kritisierte mythische Ghettoisierung des jüdischen Staates und seiner Politik geschieht dadurch, dass die Bezeugung der Tatbestände durch das Verschweigen der Meinungen verweigert wird. Die Selbstzensur kommt der staatlichen Zensur, die kritische Meinungen unterdrückt, nur zuvor.
Die Kritik der Neutralität behauptet eine zwischenmenschliche Verpflichtung zur Bezeugung der Tatsachen in der politischen Öffentlichkeit. Urteilsenthaltung in der politischen Sphäre markiert einen elitären und hybriden Status, der eine Wahlmöglichkeit suggeriert, die es nicht gibt. In dunklen Zeiten habe es – so Arendt – immer nahegelegen, «die Welt und ihre Öffentlichkeit gering zu achten, sie so weit als möglich zu ignorieren, oder auch sie zu überspringen und gleichsam hinter sie zu greifen – als wäre die Welt nur eine Fassade, hinter der sich Menschen verbergen –, um sich dann mit Menschen ungeachtet der Welt, die zwischen ihnen liegt, zu verständigen».[16] Darauf insistiert auch eine «als»-Perspektive, die eine politische Existenz behauptet, die durch eine Selbstdeklaration «als …» willkürlich eingenommen oder ausgesetzt werden könnte. Die Vorstellung bedeutet nicht nur eine Auflösung des Politischen, sondern verkennt, dass die allermeisten Mitglieder der politischen Gemeinschaft über keine Möglichkeiten verfügen, ihren Status zu wählen und Einfluss darauf zu nehmen, ob und wie sie von den politischen Verhältnissen betroffen sind. Sie können einzig die Tatsachen ihrer Existenz bezeugen, wobei die Mitglieder der politischen Gemeinschaft, die über die Macht der Wahl verfügen, über die Hörbarkeit und Relevanz dieser Bezeugungen entscheiden.
Historisch zielen zivilgesellschaftliche Solidaritäts-, Protest- und Emanzipationsbewegungen auf rechtliche und gesellschaftliche Inklusion über den Umweg solidarischer Exklusion. Unter dem Eindruck der internationalen Menschenrechtspolitik gingen Solidaritätsbewegungen von den Menschen und Gruppen aus, die systematisch vom Recht benachteiligt, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden oder über keinen Zugang zu politischen und gesellschaftlichen Institutionen verfügen. Solidarität formiert häufig zeitlich beschränkte Gemeinschaften zum Zweck der Durchsetzung des gleichen Zugangs zu Rechten und Beteiligungsmöglichkeiten. Solidaritätsbewegungen fordern in der Regel keine neuen Rechte, sondern kämpfen für einen egalitären Rechtszugang, also darum, den Kreis der Rechtssubjekte auf bisher ausgeschlossene Personen und Gruppen auszuweiten. Reale oder symbolische Solidargemeinschaften sind durch einen dreifachen Exklusivitätsanspruch gekennzeichnet: 1. die Vorrangstellung der eigenen Gemeinschaft; 2. die Vorzugswürdigkeit der eigenen community bei Hilfs- und Unterstützungsleistungen und 3. die übergeordnete Geltung der die Gemeinschaft und der ihre Interessen legitimierenden Moral. Wer sich solidarisiert, strebt keinen neutralen Standpunkt in einem Konflikt an, sondern positioniert sich auf der Seite derjenigen, die als Ohnmächtige und Leittragende von Gewalt und Ungerechtigkeit erkannt werden, mit dem Ziel, deren Interessen aktiv oder symbolisch zu stärken. Obwohl solidarische Unterstützung nicht notwendig eine Bekämpfung der Gegenseite einschliesst, läuft eine moralische Aufladung häufig darauf hinaus. Besonders in physischen und kriegerischen Gewaltkonflikten wird soziale Kohäsion über eine Täter:innen-Opfer-Dichotomie und ein verbindendes Feindbild hergestellt und gestärkt. Auf der kommunikativen Ebene vermischen sich Motive der Unterstützung der «eigenen» Seite mit Motiven der Kritik, Anklage und Bekämpfung der Gegenseite.
Die Schwierigkeiten einer moralischen Opferperspektive stellen sich in besonderer Weise für die Kirchen. Wolfgang Lienemann hat bemerkt, «dass die notwendige Blickrichtung auf die Opfer die Fragen nach den Tätern, den Ursachen und dem Recht nicht zum Verschwinden bringen darf. […] Es gehört zu den charakteristischen Schwächen vieler religiöser und/oder theologischer Diskurse über politische Konflikte, dass versucht wird, der Härte der Unvereinbarkeiten gegensätzlicher Positionen durch moralische Appelle oder die Beschwörung überparteilicher Gemeinsamkeiten zu entkommen».[17] Noch problematischer sind Positionen, die sich nicht nur auf eine moralische Opferperspektive beschränken, sondern diese darüber hinaus selektiv zuspitzen. Das geschieht im aktuellen Israel-Gaza-Konflikt in einmaliger Weise in der Zivilgesellschaft, an Universitäten und in Kirchengemeinschaften.[18] Die Theologie verfügt über keine Analysewerkzeuge für die politisch hoch komplexe und ideologisch äussert verzerrte Konfliktgeschichte zwischen Israel und Palästina. Dagegen leisten die weltweiten Kirchen und ihre Hilfswerke in unzähligen Projekten unverzichtbare materielle Hilfe, Konflikt- und Versöhnungsarbeit in Israel und Palästina.
Davon zu unterscheiden ist der Umgang der Kirchen mit dem Konflikt vor Ort. In der jüngsten Vergangenheit zeigt sich im öffentlichen kirchlichen Auftreten ein signifikantes Gefälle zwischen dem Krieg in der Ukraine und dem Israel-Palästina-Konflikt. Während die Ökumene im ersten Fall auch eine handfeste Auseinandersetzung mit der Russisch-Orthodoxen Kirche nicht scheut, findet der ebenso massive Konflikt zwischen der antizionistischen und antisemitischen Haltung des Weltbunds Reformierter Kirchen (WGRK) und den westeuropäischen reformierten Kirchen hinter verschlossenen Türen statt. Auf nationaler Ebene begegnet das Problem in dem ebenfalls nicht öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen pro-palästinensischen kirchlichen Aktionsgruppen und zurückhaltenden Kirchenleitungen.
Während die Ökumene im ersten Fall auch eine handfeste Auseinandersetzung mit der Russisch-Orthodoxen Kirche nicht scheut, findet der ebenso massive Konflikt zwischen der antizionistischen und antisemitischen Haltung des Weltbunds Reformierter Kirchen (WGRK) und den westeuropäischen reformierten Kirchen hinter verschlossenen Türen statt.
Seit 1997 findet regelmässig die «Berner Mahnwache für einen gerechten Frieden in Israel/Palästina» vor der Heiliggeist-Kirche statt, die von der gleichnamigen Organisation, der Fachstelle OeME der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und der Organisation Gerechtigkeit und Frieden in Palästina GFP getragen wird.[19] Zu jedem Anlass informiert ein zweiseitiger Flyer über neueste Entwicklungen im und Hintergründe zum Nahostkonflikt.[20] Jeder Flyer wiederholt die Aktions-Ziele: den Einsatz für «einen gerechten Frieden» und «ein Leben in Sicherheit und Würde», «ein Ende der Besatzung, des Siedlungsbaus, der Hauszerstörungen», «die Aufhebung der völkerrechtswidrigen Mauer», «ein Ende der Blockade des Gaza-Streifens», das «Recht auf Rückkehr der Palästina-Flüchtlinge», «die Einstellung der Militär- und Rüstungszusammenarbeit der Schweiz mit Israel und allen anderen Staaten im Nahen» sowie «gegen Antisemitismus in allen Formen und gegen antimuslimische Handlungen u. Aussagen».
Die erste Mahnwache nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 fand am 13. November 2023 statt. Im dazugehörenden Flyer äussern die Veranstaltenden ihre «Sprachlosigkeit […] angesichts des blindwütigen Massakers an vielen israelitischen Zivilist*innen – samt zahlreichen entführten Geiseln – durch die «Hamas» – ein Kriegsverbrechen! […| angesichts neuer antisemitischer Tendenzen in der Schweiz […] angesichts der Angriffswellen aus und gegen Gaza durch beidseitigen Raketenbeschuss – wobei die äusserst hohe Steigerung des Beschusses durch die israelischen Streitkräfte eine riesige Flüchtlingswelle ausgelöst hat. Die Opfer- und Verletzten-Zahlen steigen stetig!» Im Flyer zur Mahnwache vom 8. Dezember 2023 werden die sofortige Geiselfreilassung, ein sofortiger Waffenstillstand und die Anklage und Verurteilung beider Kriegsparteien «für die schwersten Verbrechen gegen das internationale Kriegsvölkerrecht» angemahnt. Mit der Wiederholung dieser Forderungen im Flyer zur Mahnwache am 12. Januar 2024 endet der Blick auf den Hamas-Terror und seine Folgen für Israel und kehrt zu einer loyalen pro-palästinensischen und konsequent antiisraelischen Haltung zurück. Lediglich im Flyer zur Mahnwache vom 9. August 2024 zum Thema «HAMAS – ein Partner für Frieden in Israel/Palästina?» findet sich die rhetorische (weil durch die Inhalte nicht gedeckte) Bemerkung: «In unseren Mahnwachen machen wir immer wieder auf das Unrecht der Besatzung und die Verachtung der Menschenrechte durch jüdische Siedler und israelisches Militär aufmerksam. Wir verschliessen aber auch nicht die Augen vor der Realität eines oft brutalen Hamas-Regimes in Gaza.»
Die Flyer vermitteln – entgegen dem behaupteten Anliegen – ein einseitiges Bild des Konflikts, das sich auf eine Opferseite beschränkt. Die regelmässig eingestreuten Zitate und biographischen Berichte stammen fast ausschliesslich von palästinensischer Seite. Jüdische Stimmen beschränken sich auf massive Israelkritik. Anlässlich des Terrorangriffs der Hamas werden der Schweizer Journalist Daniel Binswanger, der palästinensisch-christliche Theologe Mitri Raheb und der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm zitiert, aber keine jüdische Stimme aus dem Umfeld der israelischen Terroropfer. Weil eine israelische Sicht die «Berner Mahnwache» nichts angeht, finden in ihrem Weltbild die militärischen Angriffe der Hamas, Hisbollah Milizen und ihrer Verbündeten auf Israel nicht statt. Das fällt umso stärker ins Gewicht, als die Flyer sehr ausführlich über die israelischen Angriffe und ihrer Folgen auf Gaza berichten. Die Kritik an der Hamas beschränkt sich auf deren Gewalt gegen die eigene Bevölkerung. Die Darstellung und die zur Bestätigung herangezogenen Beispiele konstruieren eine Täter:innen-Opfer-Dichotomie mit eindeutiger Rollenverteilung.
Angesichts der Betonung des Einsatzes für die Menschenrechte der «Berner Mahnwache» verwundert es, dass zentrale und besonders aus kirchlicher Sicht naheliegende Sachverhalte unerwähnt bleiben: (1.) der auch durch solche Einseitigkeiten befeuerte Antisemitismus in der Schweiz,[21] (2.) die unbeschreiblich brutalen Vergewaltigungen von israelischen Frauen durch die Hamas und (3.) die skandalöse Reaktion der internationalen Institutionen, allen voran der Kommission UN-Women, die sich überhaupt erst auf wiederholten Druck zu einer Äusserung «of gender-based atrocities and sexual violence during those attacks» genötigt sah.[22]
Orit Sulitzeanu, Executive Director of The Association of Rape Crisis Centers in Israel (ARCCI), hat auf die prekäre westliche Diskrepanz aufmerksam gemacht zwischen einer linksliberalen, palästina-affinen Empörung und einer weitgehenden Ignoranz (auch von feministischen und Gendergruppen und -organisationen)[23] gegenüber den israelischen Frauen, die Opfer brutaler menschenverachtender sexualisierter Gewalt durch palästinensische Männer wurden. «Sexualisierte Gewalt im Rahmen von Kriegshandlungen zeichnet sich durch Merkmale aus, die beim Angriff vom 7. Oktober auf besonders extreme Weise Ausdruck fanden: Erstens, Vergewaltigung als Teilschritt einer Mordhandlung: Die Verbrechen wurden von bewaffneten Soldaten gegen unbewaffnete zivile Frauen verübt, und die sexualisierte Gewalt war von unmittelbarer Bedrohung des Lebens der Frauen begleitet, die zum grössten Teil im Anschluss an die Vergewaltigung tatsächlich grausam ermordet wurden. Zweitens, Vergewaltigung als Bestandteil der Kampfdoktrin: Die Anzahl der Opfer war hoch, da Vergewaltigung ein Element des Handlungskonzepts der Hamas bildete. Drittens, weitverbreitete Gruppenvergewaltigung: Die absolute Mehrheit der Angriffe durch Hamas-Leute (ähnlich wie andere Vergewaltigungen zu Kriegszeiten) waren Gruppenvergewaltigungen unter Beteiligung, mit Ansporn und in Anwesenheit weiterer Personen. Viertens, Brutalität: Die Vergewaltigungen wurden unter Einsatz sadistischer Folterpraktiken mit präzedenzloser Grausamkeit durchgeführt. Fünftens, mangelhafte Berichterstattung: Der Mord an den Frauen oder ihr Tod infolge von Verletzung, die sie erlitten hatten, sowie die weitverbreitete Ermordung von Zeugen dieser Taten führten zu mangelhafter Berichterstattung über die Taten der Terroristen. Darüber hinaus war die mangelhafte Berichterstattung eine Folge von Scham und Angst davor, gebrandmarkt zu werden, sowie von Selbstvorwürfen der Überlebenden. Sechstens, Vergewaltigung als Horrorshow: Neben den Angriffen unter Teilnahme und in Anwesenheit anderer Hamas-Kämpfer erfolgten die Misshandlungen vor den Augen anderer Opfer mit dem Ziel, Grauen und Angst zu verbreiten, zwecks Unterdrückung und Demütigung. Die Vergewaltigung einer Partnerin oder eines Familienmitglieds weitet die Folter aus auf die hilflosen Zeugen oder auf jene, die gefoltert werden, da sie versuchen, das Foltern anderer zu stoppen.»[24]
Die Gewalttaten beider Konfliktparteien gegeneinander aufzurechnen und auf einer Monstrositätsskala zu ranken, wäre pervers. Allerdings neigen opferfixierte Darstellungen zu einer Empörungskonkurrenz, die auch von den Flyern vom 13. November 2023 und 8. Dezember 2023 bedient wird, indem in zwei Spalten die Opfer des Konflikts unter den Kolumnentiteln «7. Oktober 2023 – ein furchtbarer Tag erschüttert Israel» und «Israels brutale Vergeltung in Gaza» gegenübergestellt werden. Bezeichnenderweise nennt der eine Titel «Israel» als Täter in Gaza, während das israelische Unglück keine Täter:innen kennt. Die palästinensischen Terroristen und Gewalttäter existieren schlichtweg nicht. Eine solche ideologische Konstruktion von Eindeutigkeit der Täter:innen-Opfer-Dichotomie gehört in Kriegszeiten zum integralen Bestandteil von Kriegspropaganda, wie sie sich in der ideologischen Erzählung des Israel-Palästina-Konflikts der «Berner Mahnwache» widerspiegelt. Der rhetorische Duktus und die Wahl der Informationen weisen sie als palästinensische Solidaritätskampagne aus, die völlig legitim ist, allerdings die Frage aufwirft, ob sie noch unter den Schirm kirchlicher Friedens- und Menschenrechtsarbeit passt.
Der rhetorische Duktus und die Wahl der Informationen weisen sie als palästinensische Solidaritätskampagne aus, die völlig legitim ist, allerdings die Frage aufwirft, ob sie noch unter den Schirm kirchlicher Friedens- und Menschenrechtsarbeit passt.
Anlässlich des bewaffneten Konflikts in Gaza zwischen palästinensischen Gruppen und der israelischen Armee vom 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009 fand am 8. Januar 2009 im Berner Münster eine «Kundgebung für die Opfer des Krieges in Gaza und Israel», an dem Vertreter:innen Israels, der schweizerischen Politik sowie der jüdischen, islamischen und christlichen Religion teilnahmen. Alle Voten fokussierten auf die Opfer des Krieges und enthielten sich konsequent jedem politischen Urteil. Wolfgang Lienemann hat die Opferperspektive kritisch beleuchtet und bemerkt, «dass die notwendige Blickrichtung auf die Opfer die Fragen nach den Tätern, den Ursachen und dem Recht nicht zum Verschwinden bringen darf». Es sei nötig, «den Blick von den Opfern auch auf die unglaublich komplexen und strittigen Ursachen des Nahost-Konfliktes zu lenken. […] Wer weitere Opfer verhindern will, darf die Frage nach Ursachen und Verantwortlichen nicht ausklammern. Ich kann verstehen, wenn Menschen der Meinung sind, dass die Debatten über Ursachen, Interessen und Ansprüche, über Verbrechen und Schuld (auf beiden Seiten), über Rechte und Verantwortlichkeiten zurücktreten oder ganz schweigen sollen, wenn es um die Linderung der Schmerzen der Opfer geht. Aber mittel- und langfristig hilft man auch den Opfern nicht, wenn man nicht in der Lage und willens ist, die zugrunde liegenden Überlebensinteressen, Machtkonflikte und globalen Verflechtungen zu thematisieren. Es ist in einem präzisen Sinne unpolitisch, wenn man meint, einen politischen Konflikt dadurch irgendwie lösen zu können, dass man – stattdessen – die Solidarität mit den Opfern beschwört. […] Hart und zugespitzt gesagt: Es kann auch eine Weise der Betonung der Opfer geben, die die politischen und rechtlichen Dimensionen des Nahostkonfliktes verdrängt und dadurch eine scheinbar unpolitische Haltung zum Ausdruck bringt oder begünstigt, tatsächlich aber auf eine politische Parteinahme zugunsten Israels in der jetzigen Situation hinausläuft.»[25] Und resümierend hält der Berner Theologe fest, «dass die scheinbar unpolitische Perspektive der Klage um die Opfer unter den gegebenen Umständen nahezu einer Unterstützung der Position des Staates Israel gleich kommt. Im Bezug auf das Völkerrecht ist der Nahost-Konflikt asymmetrisch durch die Dominanz Israels bestimmt; genau diese Dominanz wird durch die aktuelle Intervention im Gaza-Streifen unterstrichen und sehr brutal exekutiert.»[26]
Mit der Betonung der strukturellen Asymmetrien zwischen den Konfliktparteien scheint Lienemann auf den ersten Blick dem Anliegen der «Berner Mahnwache» nahe zu kommen. Allerdings entpuppen sich seine Überlegungen bei genauerem Hinsehen als differenzierender Gegenentwurf. Seine Argumentation zielt auf die Notwendigkeit, zwischen einer Symmetrie der Opfer und einer Asymmetrie der Täter:innen zu unterscheiden. Das Problem der Perspektive der «Berner Mahnwache» und auch von UN-Institutionen im Blick auf bestimmte Entscheidungen und Resolutionen[27] besteht darin, aus der Asymmetrie der Gewaltmittel der Konfliktparteien eine moralkompensatorische Ungleichheit der Aufmerksamkeit für die Opfer abzuleiten. Der Kurzschluss wird durch das Narrativ verstärkt, bei dem die eine Konfliktpartei kollektiv als «Israel» angesprochen wird, während bei der anderen Konfliktpartei konsequent zwischen «Hamas» und «palästinensischer Bevölkerung» bzw. «Bevölkerung von Gaza» differenziert wird. Die Konstruktion der Opfergruppen beruht auf drei unakzeptablen Unterstellungen: (1.) dass bei den Gewaltopfern zwischen «reinen» Opfern (die Gruppe der Palästinenser:innen, von denen die Hamasaktivist:innen subtrahiert werden) und «täterkontaminierten» Opfern (die monolithische Gruppe der Israel:innen, die mit den israelischen Soldat:innen und militanten Siedler:innen identifiziert wird) unterschieden werden kann; (2.) dass die Opfer der militärisch überlegenen Seite weniger zählen, weniger Berücksichtigung verdienen und weniger beklagenswert sind als die Opfer der militärisch unterlegenen Seite und (3.) dass – im Gegensatz zu den Urkraine-Krieg-Narrativen, bei denen der Täterfokus (die Benenennung der Russischen Föderation als Kriegsverursacherin und Aggressorin) kategorisch eingefordert wird – die Frage nach den Gewaltverursacher:innen im jüngsten Israel-Gaza-Konflikt keine Relevanz hat.
Das grundlegende Problem einer Opferperspektive besteht nicht in der humanen anerkennungs- und unterstützungswürdigen Fokussierung auf die Gewaltopfer an sich, sondern in dem Irrtum, durch eine einseitige Aufmerksamkeitsverteilung die Frage nach den Gewaltursachen und Täter:innen übergehen oder lösen zu können. Humanität behauptet das schlichte Dass der Opfer und verzichtet auf jede Frage nach dem Warum und Wozu. Damit kollidiert eine Empathie und Solidarität, die sich auf die von einer Tatverantwortung freigesprochenen «reinen» Opfer beschränkt und die anderen Opfer zu Leittragenden ihrer Täterschaft erklärt. Ein Opfer ist eine Person, die einen Schaden erlitten hat, unabhängig davon, wie es zu dieser Schädigung gekommen ist und was die Person selbst dazu beigetragen hat. Die Opferperspektive einzunehmen bedeutet, von jeder Schuld- und Verantwortungsfrage zu abstrahieren. Deshalb müssen – gerade aus kirchlich-theologischer Sicht – Opferdebatten entschieden zurückgewiesen werden, die sich auf eine prekäre Moraltriage stützen.[28] Nach einer solchen Logik müsste etwa die Notfallhilfe nach einem Autounfall zwischen den unschuldig Verletzten und den verletzten Unfallverursacher:innen sanktionieren.
Die Opferperspektive einzunehmen bedeutet, von jeder Schuld- und Verantwortungsfrage zu abstrahieren.
Die Einwände von der Ausweglosigkeit der palästinensischen Lage und von der Reaktion der palästinensischen Terroranschläge auf die aggressive Expansionspolitik und die systemische Diskriminierung durch den israelischen Staat und militante Siedler:innen[29] gehören in den Raum der Politik, zu der eine Opferperspektive nichts beitragen kann. Das Argument von Lienemann, dass die Fokussierung auf die Opfer den Interessen und der Politik der Täter:innen in die Hände spiele, hat der arabische Theologe Mitri Raheb an einem bedrückenden Erlebnis verdeutlicht. Nach einem israelischen Luftangriff auf die Altstadt von Gaza, bei der auch das Areal der griechisch-orthodoxen Kirche getroffen worden war, erkundigte sich Raheb telefonisch bei einem Freund, der in die römisch-katholische Kirche geflüchtet war. Eine Ordensschwester berichtete ihm aufgebracht von den Toten und Zerstörungen. Spontan reagierte der Theologe mit dem Versprechen, für die Opfer und Bedrohten zu beten, worauf sie ihn durchs Telefon anbrüllte: «We don’t need prayers!»[30] Die «christliche» symbolische Solidarisierung mit den Opfern ging im Bombenhagel unter: «Hört auf, für Gaza zu beten, während eure Regierung diesen Krieg unterstützt. Hört auf zu denken, ihr würdet den Menschen in Gaza einen Gefallen tun, indem ihr betet, ohne euch vehement für Gerechtigkeit einzusetzen.»[31] Raheb erinnert an den Profetenspruch: «Ich hasse, ich verabscheue eure Feste, und eure Feiern kann ich nicht riechen! […] Weg von mir mit dem Lärm deiner Lieder! Und das Spiel deiner Harfen – ich höre es mir nicht an! Möge das Recht heranrollen wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein Fluss, der nicht versiegt.» (Am 5,21.23f.)
Die prophetische Forderung, die sich Christ:innen in Palästina zu eigen machen, trifft die westlichen Kirchen auf dem falschen Fuss. Natürlich richtet sich der Einspruch nicht gegen das Gebet und die darin zum Ausdruck gebrachte Aufmerksamkeit für das Leiden und die Hoffnung auf sein Ende und seine Überwindung. Der Protest weist einen Gebets- und Opferfatalismus zurück, der sich scheut oder weigert, die Gewaltursachen zu benennen und aktiv gegen sie vorzugehen. Kirche und Theologie müssen anerkennen, dass der Barmherzige Samaritaner nicht für das politische Feuer gemacht ist und weder auf unmenschlichen Terrorismus noch auf unmenschliche staatliche Praktiken reagiert. Lienemanns Resümee, «dass die scheinbar unpolitische Perspektive der Klage um die Opfer unter den gegebenen Umständen nahezu einer Unterstützung der Position des Staates Israel gleichkommt»,[32] verweist auf einen dialektischen Effekt, bei dem der Anspruch auf Gewaltlosigkeit contre cœur darauf hinausläuft, die reale Gewalt zu stärken. Kirche und Theologie werden einen Zugang zum politischen Diskurs erst dann finden, wenn sie ihre realitätsferne Gewaltverzichtshaltung aufgeben und sich konstruktiv mit den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen legitimer politischer Gewalt auseinandersetzen.
Wolfgang Lienemann hat die Kirchen aufgefordert, «zur Aufklärung über die Konflikthintergründe, zur differenzierten Debatte über rechtliche Konfliktlösungsmöglichkeiten und dadurch langfristig insbesondere zur Vermeidung von Opfern beizutragen».[33] Sorgfältige Information und eine alle ernsthaften Stimmen einschliessende Diskussion können dazu beitragen, die propagandistische Gewalt ideologischer Narrative und Urteile zu dekonstruieren. Für die Bevölkerung Israels ist die terroristische Gewalt palästinensischer Gruppen eine reale und permanente Bedrohung. Für die palästinensische Bevölkerung besteht die reale und permanente Bedrohung einerseits in der hegemonialen Unterdrückung und Vertreibung durch den israelischen Staat und militante Siedlergruppen und andererseits in der verachtenden Herrschaft und brutalen Instrumentalisierung durch islamistische Terrorgruppen.[34]. Die Verschiebung der Opferkategorie auf die politische Ebene ist zutiefst ambivalent. Einerseits bildet sie den Bezugspunkt für die Schutz- und Sicherheitspflichten des Staates und das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat. Staatliche Vertrauensbelege in unsicheren Regionen zeigen sich nicht zuletzt in sichtbaren militärischen Erfolgen, die keine Rücksicht nehmen auf die damit in Kauf genommenen Opfer.[35] Andererseits wird die Opferkategorie systematisch missbraucht, um staatliche Gewalt jenseits von rechtlicher Legalität und ethischer Legitimität zu rechtfertigen. Die Sakralisierung (sacrifice) und Instrumentalisierung der Gewaltopfer (victim) wird zur Legitimationsfigur für eine religiös überhöhte Gewalt (Rache als religiöse Pflicht) und einen exklusiven Gewaltkult (Selbst- und Fremdopferung, Märtyrerkult).[36]
Die Ambivalenzen des Opferbegriffs begegnen auch auf der Gegenseite der Täter:innen. Wer als Täter:in gilt, wird durch entsprechende Normen (in staatlich-politischen Zusammenhängen durch das Recht) definiert. Die Gewalt des Rechts besteht darin, verbindlich zwischen legaler und illegaler Gewalt zu unterscheiden (staatliches Gewaltmonopol). Ob solche Rechtssetzung grundsätzlich gerecht ist und im konkreten Fall jeder möglichen Person oder Gruppe gerecht wird, ist eine Frage, die nationales Recht nur formal (Rechtskohärenz) beantworten kann. Deshalb binden moderne Rechtsstaaten ihr nationales Recht an Rechtsstandards des Völkerrechtes und der Menschenrechte zurück.[37] Es zeugt zwar nicht von Fingerspitzengefühl, aber von einem klaren Rechtsbewusstsein und Rechtdurchsetzungswillen, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nach genauer Prüfung der Sachlage am 21. November 2024 Haftbefehle gegen die für das Massaker vom 7. Oktober 2023 massgeblich verantwortlichen Hamas-Führer und die für die militärischen Massnahmen Israels zuständigen staatlichen Repräsentanten ausstellte. Zur Begründung erklärte der IStGH-Chefankläger, Karim Khan: «Wir sollten uns heute über eine zentrale Frage im Klaren sein: Wenn wir nicht bereit sind, das Recht auf alle gleich anzuwenden, sondern selektiv darauf zugreifen, schaffen wir die Voraussetzungen für seinen Zusammenbruch. Damit lockern wir auch die letzten Bande, die uns zusammenhalten, die stabilisierenden Verbindungen zwischen allen Gemeinschaften und Individuen, das Sicherheitsnetz, auf das alle Opfer in Zeiten des Leids schauen. Darin besteht die wahre Gefahr, der wir in diesem Augenblick ausgesetzt sind.»[38] Damit wird eine rechtliche Überprüfung der Vorgänge in Israel und Gaza erzwungen und klargestellt, dass ein terroristisches und kriegerisches Handeln von Staaten oder staatsähnlichen Gebilden gegenüber anderen Staaten nicht vom eigenen Rechtssystem, sondern von überstaatlichen Rechtsinstitutionen beurteilt und gegebenenfalls sanktioniert werden muss.
Der Versuch, die Diskussionen zum Israel-Palästina-Konflikt möglichst vorurteilsfrei zur Kenntnis zu nehmen, hinterlässt einen zutiefst ambivalenten Eindruck. Unmittelbar deutlich werden einerseits die Heterogenität der Debattenbeiträge, die ein gemeinsames Diskursfundament ausschliessen, und andererseits die Höhe des eigenen Tellerrands und die Undurchlässigkeit und Widerständigkeit der eigenen Überzeugungen. Die moralischen und Gerechtigkeitsintuitionen, auf die sich die eigenen Wahrnehmungen und Urteile stützen, werden ständig irritiert und in Zweifel gezogen. Deshalb sollte grundsätzlich allen vollmundig und zweifelsfrei vorgetragenen Überzeugungen mit grösster Skepsis begegnet werden. Fest steht nur, dass die Behauptung von eindeutigen oder naheliegenden Lösungen falsch ist. Kirchliche und theologisch-ethische Beiträge könnten falschen Gewissheiten entgegentreten und auf die Ambivalenz und Ungewissheit der Wahrnehmungen und Urteile im Israel-Palästina-Konflikt bestehen.
Die Perspektive auf die Opfer ist unverzichtbar, trägt aber zur Konfliktlösung nichts bei. Denn entweder löst sich das Problem auf, weil die Verletzung und Verweigerung unhintergehbarer Schutzrechte von Leib und Leben, die eine Person zu einem Opfer machen, durch nichts gerechtfertigt werden können. Oder das Problem wird durch seine Halbierung zum Verschwinden gebracht, weil für die Durchsetzung der eigenen politischen Interessen die Opfer der anderen nicht zählen, und weil die Opferperspektive immer nur auf die eigenen Opfer beschränkt wird. Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz bemerkt im Zusammenhang ihrer Auseinandersetzung mit Judith Butler vom Frühjahr 2024: «Es gab eine Zeit, als wir gleichzeitig an viele Werte glauben konnten: Gleichheit und Freiheit, Antirassismus und Meinungsfreiheit, Diversität und Toleranz. In der heutigen politischen Realität hat sich das dramatisch verändert – besonders bei den Linken. Man verlangt von uns, dass wir uns entscheiden: Zwischen dem Kampf gegen Islamophobie und dem Kampf gegen Antisemitismus, zwischen tugendprahlerischer Zensur und dem Recht auf freie Meinungsäusserung, zwischen dem Volk in Gaza und dem Existenzrecht Israels, zwischen der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus oder der Jerusalem Declaration on Antisemitism […]. Es scheint, als stünde jeder von uns mit dem Rücken an einer ideologischen Wand und müsse sich entscheiden, welche Opfer zählen dürfen. Schlimmer noch: In diesem Wettbewerb des Leidens besteht jede Seite makaber darauf, dass nur ihre eigenen Opfer zählen.»[39]
Die Umstellung von der Opfer- auf die Täter:innenperspektive wirft neue Probleme auf. In zwischenstaatlichen Gewaltkonflikten werden Handlungen von den Konfliktparteien üblicherweise diametral entgegengesetzt beurteilt. Im Gegensatz zum Opferbegriff ist Täter:innenschaft eine relationale Kategorie, die von dem jeweils vorausgesetzten Normensystem abhängt. Der verbrecherische Terrorakt im einen Normensystem kann zur heroischen Befreiungstat in einem anderen werden, die brutalen staatlichen Vergeltungsmassnahmen im eine Normensystem zur gefeierten Machtdemonstration in einem anderen. Gewalt ist nicht ipso facto verabscheuungswürdig, sondern nur, sofern sie und die damit angestrebten Ziele den eigenen Normen- und Wertsystemen widersprechen. Die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz von Gewalt sind weder klar noch kohärent gezogen. Diese Merkmale machen verständlich, warum die Rede von Gewaltfreiheit in politischen Zusammenhängen in der Luft hängt und über metaphorische Assoziationen und bildhafte Intuitionen nicht hinauskommt. Wenn ein rechtsstaatlich legitimiertes Gewaltmonopol und Konzepte rechtserhaltender Gewalt nicht grundsätzlich abgelehnt werden, kann es nicht um «Gewaltlosigkeit» gehen, sondern um eine rechtsstaatliche und völkerrechtliche gewaltmässige «Gewalteinhegung». Aus dieser Perspektive zeigt sich die Doppelfunktion der Begriffe Gewalt und Gewaltlosigkeit: Sie zielen mit entgegengesetzter Stossrichtung darauf, bestimmte Gewaltverhältnisse anzugreifen und/um andere Gewaltverhältnisse davon auszunehmen. So wurde etwa das Minarett-Bauverbot in der Bundesverfassung (Art. 72 Abs. 3 BV) mit der Bedrohung durch islamistische Gewalt begründet. Eine lediglich behauptete Gewalt setzte einen politischen Prozess in Gang, der in die verfassungsmässige Einschränkung der Religionsfreiheit für eine Bevölkerungsgruppe mündete und damit die Gewalt (Einschränkung der Menschenrechte) zu einem legalen Akt (Bundesverfassung) erklärt.
Das Beispiel problematisiert darüber hinaus den problematischen Standpunkt schweizerischer Israel-Kritik auf. Aus der Perspektive der Gesellschaft, die in der beschriebenen Weise legale Gewalt auf eine Personengruppe ausüben kann, weil sie diese zuvor mehrheitsfähig einer fiktiven Gewalt bezichtigt hat, ist es bizarr, Israel für seine Reaktionen auf die reale Gewalt martialischer Terroranschläge, Bombardierungen und eines paramilitärischen Guerillakriegs anzugreifen und zu verteufeln. Das gilt in doppelter Hinsicht auch umgekehrt: (1.) indem aus der Souveränität und dem Selbstverteidigungsrecht Israels ein Blankoscheck für staatliche und siedlerkolonialistische Gewaltmassnahmen abgeleitet wird, und (2.) wenn die westlichen Staaten die Hoheit und Autorität des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag untergraben, indem sie ankündigen, ihrer Pflicht, die per Haftbefehl gesuchten israelischen Angeklagten auszuliefern, nicht nachzukommen.
Gewalt ist eine Frage der Perspektive, die als ihren Überschuss Gewaltlosigkeit hervorbringt. Gewalt schafft erst die Räume für Gewaltlosigkeit und gewaltlos können nur diejenigen sein, die auch anders könnten. Das gilt selbst für Jesus, wie die Begegnung mit den Soldaten bei seiner Gefangennahme im Garten Getsemani zeigt.[40] Es ist eine Sache, Gewaltfreiheit zu fordern, wenn der letzte freie Sitzplatz in der Tram zur Disposition steht oder der Streit in der Beiz zu eskalieren droht. Es ist eine völlig andere Sache, Gewaltfreiheit zu fordern, wenn damit riskiert wird, dass die eigenen Kinder entführt und getötet werden, die Frau vergewaltigt, der Vater gefoltert oder dass die gesamte Familie im Bombenhagel zerfetzt wird. Israel und die palästinensischen Gebiete haben keine Grenzen zu Nachbarn wie Österreich, Frankreich oder Deutschland. Die Positionen und Aussichten Israels und der palästinensischen Gebiete liegen aus europäischer Sicht unendlich weit auseinander und die ziemlich einzige Schnittmenge, auf die aus einer an der Aufklärung orientierten europäischen Perspektive hingewiesen werden kann, dass sämtliche Beteiligte und Betroffene – mit Lessing – «Menschen sind», scheint kaum ins Gewicht zu fallen.
Ein Nachdenken über Gewaltkonflikte und die Möglichkeiten ihrer Unterbrechung, Lösung und Befriedung findet auf der Grundlage theoretischer Konzepte zur Beschreibung und zum Verständnis der Konfrontationen, ihrer Ursachen, Motive, Entwicklungen, Ziele und Interessen statt. Eine wichtige Rolle spielen Modelle und Kategorien, die es erlauben, die Wahrnehmungen und Erlebnisse der Konfliktparteien und der von dem Konflikt Betroffenen möglichst adäquat abzubilden. Eine in diesem Zusammenhang interessanter neuerer Ansatz geht von der Hypothese aus, dass die Unversöhnlichkeit und die Vehemenz der gegenseitigen Abgrenzungen gerade mit der strukturellen Nähe der jüdischen und palästinensischen Selbstverständnisse zusammenhängen könnten. «Die zionistische und die palästinensische nationalen Mainstream-Erzählungen unterscheiden sich gewiss sehr, sie teilen aber eine bemerkenswert ähnliche Syntax und Grammatik. Ein gemeinsames Merkmal beider dominanter historischer Narrative besteht darin, dass jede – neben der Annahme einer grundlegenden Katastrophe – zugleich die Katastrophe der anderen Seite explizit oder implizit verneint. […] Jede Seite ist überzeugt, dass sie das ultimative Opfer der Geschichte sei, während sie das Leiden der anderen Seite leugnet oder herabsetzt, um ihre eigene Position zu untermauern.»[41] Trifft diese Beobachtung zu, bestünde die Herausforderung weniger darin, wie sich die Konfliktparteien aus einer mehr oder weniger grossen Entfernung aufeinander zubewegen können, als vielmehr darin, wie zwischen Herkunftserfahrungen, Gemeinschafts- und Identitätserzählungen, die mit analogen Ansprüchen auftreten, angemessen differenziert werden kann.
Konfliktlösungen werden entweder autoritär und gewaltsam durchgesetzt oder über komplexe und aufwändige Verständigungsprozesse erreicht. Im letzten Fall muss davon ausgegangen werden, dass die Verständigungssubjekte in einem möglicherweise massiv asymmetrischen Verhältnis stehen, nicht den gleichen Willen zur Verständigung teilen, unterschiedliche Interessen verfolgen, über ungleiche Ressourcen, Möglichkeiten und Aussichten verfügen und unter Druck stehen, zu einer Einigung zu kommen oder diese möglichst zu verhindern. Im Blick auf den Israel-Palästina-Konflikt werden die Verständigungsmöglichkeiten durch gewaltige Asymmetrien zwischen den Konfliktparteien belastet, die nicht aus dem Auge verloren werden dürfen:
(1.) Während Israel ein völkerrechtlich anerkannter, souveräner Staat ist, verweigern aktuell 46 Staaten – darunter die wichtigen Akteure Israel, USA und die meisten europäischen Länder – dem palästinensischen Staat seine völkerrechtliche Anerkennung. Daran ändert auch die am 10. Mai 2024 beschlossene UN-Resolution A/RES/ES-10/23 nichts, die dem Staat Palästina einen Sitz in der Generalversammlung einräumt und die Aufnahme als Vollmitglied in die Vereinten Nationen empfiehlt (bei Stimmenthaltung unter anderem von der Schweiz, Deutschland und Österreich). Im Gegensatz zu Israel sind die nationale Heimat der palästinensischen Bevölkerung und ihre territoriale Macht und Souveränität unsicher und umstritten. Das zeigt sich nicht zuletzt in der inzwischen knapp sechs Jahrzehnte andauernden israelischen Besetzung palästinensischer Gebiete (seit dem Sechstagekrieg 1967). Aktuell gilt die in immer neuen Anläufen – so auch in der unter massgeblicher Mitarbeit der Schweiz entworfenen «Geneva Initiative» von 2003[42] – angestrebte Zwei-Staaten-Lösung als unrealistisch. Allerdings erklärt ein am 19. Juli 2024 vom Internationalen Gerichtshof vorgelegtes Rechtsgutachten zum Nahost-Konflikt die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete einschliesslich des Gaza-Streifens für völkerrechtswidrig und verlangt einen zeitnahen und umfassenden Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, wobei die Möglichkeit einer Verhandlungslösung eingeräumt wird.[43] In der Folge könnte das Modell einer Zwei-Staaten-Lösung neuen Auftrieb erhalten.
(2.) Das Selbstverständnis Israels ist untrennbar verbunden mit dem Antijudaismus und Antisemitismus, der sich durch die gesamte jüdische Geschichte zieht und in die Schoa mündete. «Wer heute Israels Seinsrecht bestreitet oder bekämpft, ist antisemitisch. Warum? Weil Israel als Jüdischer Staat für jeden Juden der Welt die ultimative Lebens-, also Seinsversicherung ist. Ergo ist deren Entzug praktizierte Judenfeindschaft.»[44] Die ganze Brisanz der Bemerkung von Michael Wolfssohn zeigt sich aus historischer Sicht. Das im Augsburger Religionsfrieden von 1555 kodifizierte Ius emigrandi räumte jeder Person das prinzipielle Recht ein, aus Glaubens- und Gewissensgründen in ein Herrschaftsgebiet der eigenen Religion (Konfession) auszuwandern. Aus diesem Recht entwickelte sich das moderne Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit, nach dem für jede Person kein Aufenthaltsort in der Welt alternativlos sein darf. Denn die Beschränkung des Lebensraums einer Person auf einen einzigen Ort in der Welt und die Bestreitung jeder Möglichkeit eines Ortswechsels sind unvereinbar mit ihren fundamentalen Freiheitsrechten. Der grassierende Antizionismus und Antisemitismus haben den doppelt fatalen Effekt, das Existenzrecht des Staates Israel in Zweifel zu ziehen und gleichzeitig die übrige Welt für die israelische Bevölkerung zu einem gefährlichen und unwirtlichen Ort zu machen. Der Antijudaismus und Antisemitismus auch in der Schweiz tragen somit direkt zur Verschärfung des Israel-Palästina-Konflikts bei. Denn sie liefern dem israelischen Staat überzeugende Gründe dafür, zum Schutz und zur Verteidigung Israels als (ultima ratio: letzten) Rückzugsort für israelische und jüdische Personen, für die andere Orte in der Welt knapper werden, an der hegemonialen und gewalttätigen Sicherheitsdoktrin festzuhalten und sie gegebenenfalls zu verschärfen.
(3.) Die menschenunwürdigen, prekären und perspektivlosen Lebensverhältnisse der palästinensischen Bevölkerung – «ohne Staat, unter Besatzung, fragmentiert, rechtlos und enteignet»[45] –, zu denen Israel in massiver und völkerrechtswidriger Weise beiträgt, werden nicht relativiert, wenn darauf bestanden werden muss, dass die palästinensische Bevölkerung nicht wie ihre jüdischen Nachbarn als Ethnie Opfer von Genozid und Liquidierung wurden und davon bedroht sind. Deshalb ist es falsch und zynisch, die jüdische Schoa und die palästinensische Nakba gleichsetzen. Das Gleiche gilt für Analogien aus der Tatperspektive, allen voran die Gleichsetzung der israelischen Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung mit dem südafrikanischen Apartheid-System.
(4.) Die Palästinenser:innen tragen keine Verantwortung für die Schoa, aber Israel und zionistische Siedler:innen waren massgeblich an der Nakba beteiligt.[46] Gemäss dem UN-Teilungsplan von 1947 (UN-Resolution 181 [II]) sollte das britische Mandatsgebiet zu gut 56 % an einen jüdischen Staat für die damals etwa 30 % jüdische Bevölkerung in der Region und zu etwa 43 % an einen palästinensischen Staat für die zu diesem Zeitpunkt ungefähr 70 % arabische Bevölkerung gehen. Der Grossraum Jerusalem sollte einen internationalen Sonderstatus erhalten. Infolge des ersten israelisch-arabischen Kriegs zwischen 1947 und 1949, der arabisch als Nakba («Katastrophe») bezeichnet wird, mussten 700.000 bis 750.000 Palästinenser:innen aus dem heutigen Staatsgebiet Israels (77 % des damaligen britischen Mandatsgebiets) fliehen oder wurden von dort vertrieben. Ungeachtet der UN-Resolution 194 von 1948, die ein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge postulierte, verbieten jüdische Gesetze seit Anfang der 1950er Jahre den Palästinenser:innen sowohl die Rückkehr in ihre Heimat als auch die Annahme der israelischen Staatsbürgerschaft.[47]
(5.) Die rechtsstaatliche und völkerrechtliche Situation im Nahen Osten ist prekär. Zahlreiche Gruppen und Staaten oder staatliche Stellen behalten sich vor, «völlig extra legem Gegner ohne Anklage und Prozess zu eliminieren. Wo dergleichen geschieht – teilweise planmässig und offen zugegeben, teilweise geheim und dennoch auf Dauer schwer zu vertuschen –, darf man sich nicht wundern, wenn man schliesslich niemanden findet, mit dem man überhaupt noch in Friedensverhandlungen eintreten könnte. Faustrecht und Lynchjustiz gibt es auf jeder Seite – gegenüber dem ‹Feind› ebenso wie gegenüber den eigenen Leuten, die nicht als linientreu gelten.»[48] Diese Zustände sind nicht ausschliesslich Ausdruck korrupter Regierungen und Staatsapparate, denen das Interesse an rechtsstaatlichen Verhältnissen abgeht. Eine wichtige Rolle spielen auch negative Erfahrungen mit den Völkerrechtsinstitutionen und die tiefe Enttäuschung, von der Staatenwelt nicht anerkannt und angemessen unterstützt zu werden.
Es gibt kein einheitliches israelisches und palästinensisches Selbstverständnis. Es wäre sinnlos, eine solche Stimme zu suchen und ein Irrtum, einzelne Äusserungen als repräsentative zu verstehen. Die Pluralität und Heterogenität der Selbstverständnisse und -deutungen sind weniger ein Desiderat als das Merkmal dynamisch-offener, präsenz- und begegnungsbezogener Kulturen. In diesem Sinn steht der nachfolgende fiktive Dialog zwar für sich, erlaubt aber von kompetenter (und betroffener) Seite einen Blick auf mögliche Konflikthintergründe.
Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz hat prophezeit, dass die Geschichtswissenschaften in zweihundert Jahren über die Frage rätseln werden: «Warum sind die Juden weltweit so schnell und entschlossen, wenn es darum geht, Antisemitismus zu bekämpfen, und so schwer von Begriff, wenn es um Israels eklatante und wiederholte Menschenrechtsverletzungen und seinen staatlichen Rassismus geht? Die Antwort ist einfach: Sie projizieren ihr eigenes Gefühl der Verletzlichkeit auf Israel und bedienen sich des uralten Narrativs vom ‹Hass der Völker›, um seinem Vorgehen Sinn abzugewinnen. Sie machen Israel so zur Verlängerung ihrer eigenen Unsicherheit, die von einem auf die Schoah konzentrierten kollektiven Gedächtnis gespeist wird, wie es ironischerweise gerade die (nichtjüdischen) Staaten pflegen, in denen die jüdischen Diasporagemeinschaften gelebt, sich entwickelt und sogar ihre Blütezeit erlebt haben. […] Wo sich die Diaspora prinzipiell unsicher fühlt, leben die Israelis in einem hyper-sicherheitsbesessenen Staat. Wo sich Erstere als Opfer sieht, verfügen Letztere über ein ausgemachtes Selbstbild der Stärke. Wo die Erstere die Menschenrechte gepriesen hat und an ihnen festhält, um ihre Existenz zu sichern, glauben Letztere – die rechten Israelis –, dass die Menschenrechte ihr Überleben gefährden. Während Erstere in einer kosmopolitischen Welt lebt, haben Letztere die ethnischen Gräben ihres Staates so vertieft, dass Israel nun sowohl wegen seiner Aussenpolitik als auch wegen seines ethnisch-exklusiven Charakters isoliert wird.»[49]
Illouz diagnostiziert die widersprüchlichen jüdischen Selbstwahrnehmungen entlang der Trennlinie zwischen Fremde und Heimat. Es geht nicht – wie in hiesigen politischen Debatten – um den Streit zwischen unterschiedlichen politischen und moralischen Überzeugungen, sondern um gegensätzliche Haltungen, die sich aus unterschiedlichen Existenzweisen ergeben. So selbstverständlich der jüdischen Exils- und Diasporageschichte eine unabhängige und universalistische Prägung frei von nationaler Sorge und staatspolitischem Kalkül ist, so fremd und bedrohlich erscheint einem nationalstaatlichen Denken der kosmopolitische Blick auf «die Menschheit in ihrer Gesamtheit».[50] Während nationalstaatliche Souveränität zu universalistischen und kosmopolitischen Ideen auf Distanz geht, sind Diasporakulturen patriotische Haltungen und nationale Identität fremd. Die eine Seite erlebt Universalismus und Kosmopolitismus allenfalls als touristisches Abenteuer unter Fremden oder als moralische Zumutung durch die Fremden (vgl. die europäischen Flüchtlings- und Asylpolitiken). Die andere Seite betrachtet den Staat als interimistischen Aufenthaltsort, der Assimilationsdruck ausübt (Exil, Diaspora), oder als hybride Gemeinschaft, die in Anspruch nimmt oder ausschliesst (Gottes Verheissung an Abraham und das «portative Heimatland» Heinrich Heines: «Ein Buch ist ihr Vaterland, ihr Besitz, ihr Herrscher, ihr Glück und ihr Unglück. Sie leben in den Marken dieses Buches, hier üben sie ihr Bürgerrecht, hier kann man sie nicht wegjagen, nicht verachten, hier sind sie stark und bewunderungswürdig»[51]). Die unmögliche Gleichzeitigkeit von patriotisch-nationaler Identität und nomadisch-kosmopolitischer Universalität wird zum Problem für das jüdische Selbstverständnis unter staatlichen Bedingungen.
Der in Jerusalem geborene US-Amerikaner palästinensischer Herkunft Edward W. Said, Professor für Englische Literatur und Komparatistik und Mitbegründer der Postcolonial Studies hat mit seinen Schriften zu einer neuen Sicht auf den Israel-Palästina-Konflikt beigetragen. Seine Bemerkungen über das palästinensische Selbstverständnis bilden das Pendant zu Illouz’ Diagnose: «Ich glaube nicht, dass es eine Übertreibung ist zu sagen, dass die Palästinenser trotz der plötzlichen Aufmerksamkeit, die sie erfahren, immer noch – manchmal sogar von ihresgleichen – als eine Ansammlung grundsätzlich negativer Eigenschaften wahrgenommen werden. Unter diesen Bedingungen ist der Weg zu vollständiger palästinensischer Selbstbestimmung ausserordentlich schwierig, weil Selbstbestimmung nur möglich ist, wenn es ein klar erkennbares «Selbst» gibt, das sich bestimmen lässt. Exil und Zerstreuung machen dieses Problem unmittelbar sichtbar. Während eines Grossteils dieses Jahrhunderts sind die Palästinenser auf der weltgeschichtlichen Bühne vor allem durch Ablehnung und Verweigerung in Erscheinung getreten. Sie wurden mit dem Widerstand gegen den Zionismus in Verbindung gebracht, mit dem «Kern» des Nahost-Problems, mit Terrorismus, mit Unnachgiebigkeit – die Liste ist lang und wenig schmeichelhaft. Sie hatten das ausserordentliche Pech, auf ein starkes Argument gegen die koloniale Invasion ihres Heimatlandes zu treffen, und bekamen es zugleich – auf internationaler und moralischer Ebene – mit dem wohl moralisch komplexesten aller Gegner zu tun: den Juden, mit ihrer langen Geschichte der Verfolgung und des Terrors. Das absolut Unrechtmässige des [israelischen] Siedlerkolonialismus wird stark relativiert, vielleicht sogar aufgelöst, wenn es sich um ein leidenschaftlich geglaubtes jüdisches Überlebensprojekt handelt, das den Siedlerkolonialismus benutzt, um sein eigenes Schicksal zu ordnen.»[52]
Said beschreibt die tiefe Krise des palästinensischen Selbstverständnisses, in der der Stolz in Selbstverachtung und in die Ächtung durch andere (besonders den Westen) umschlägt. Hinzu kommt die moralische Falle, die angesichts des unvergleichbar grausamen Schicksals des jüdischen Volkes den palästinensischen Protest gegen das eigene – von Israel bewirkte –Schicksal mundtot macht. Israel als «Überlebensprojekt» delegitimiert die Kritik derjenigen, die Opfer dieses Projekts werden. Irritierenderweise attestiert Said diese US-amerikanische und europäische Mainstream-Position auch dem palästinensischen Volk. Zugleich kommen sich Saids Bemerkungen über das palästinensische Selbstverständnis und Illouz Beschreibung des israelischen Selbstbildes im Blick auf die gesellschaftlichen Haltungen existenzieller Verunsicherung und tiefer Selbstzweifel erstaunlich nahe. Die Ursachen und Gründe sind diametral entgegengesetzt: Während die israelische Gesellschaft sich bei der Umstellung von der diasporischen Opferrolle auf die staatliche Täterrolle verheddert, ist die palästinensische Gesellschaft mit der umgekehrten Bewegung in die Ohnmacht konfrontiert, durch die Vertreibung und Flucht aus der Heimat in Flüchtlingslager und andere Aufenthaltsorte der Entmündigung, Demütigung, Degradierung und bestenfalls Duldung ohne Gewissheit. Das kulturelle Gedächtnis und die realen Lebensverhältnisse beider Gesellschaften laufen überkreuz. Der israelischen Gesellschaft fehlt eine osmanische Vergangenheit und der palästinensischen Bevölkerung eine Abraham-Figur mit Landverheissung. Die palästinensische Seite hat keine Hoffnung (und zweifelt an ihrer Berechtigung auf Hoffnung) und die israelische Seite hadert mit ihrer Erfüllung (und zweifelt an ihrer eigenen Wirklichkeit als realisierte Hoffnung).
Die realen politischen Verhältnisse werden von Illouz und Said erwartungsgemäss unterschiedlich beurteilt. Dabei weist Said den inzwischen auch in Kirchen verbreiteten Vorwurf von Israel als Apartheit-Staat[53] zurück: «Ich bezweifle nicht, dass jeder denkende Palästinenser […] irgendwie weiss, dass alle wirklichen Parallelen zwischen Israel und Südafrika ins Wanken geraten, wenn er ernsthaft über den Unterschied zwischen weissen Siedlern in Afrika und Juden, die vor dem europäischen Antisemitismus fliehen, nachdenkt. Doch die Opfer in Afrika und Palästina sind auf ähnliche Weise verwundet und gezeichnet, auch wenn die Täter unterschiedlich sind. Aber das Band zwischen den unterdrückten nicht-europäischen Völkern hat die Juden entfremdet, die sich vorbehaltlos für den Westen und dessen Methoden in Palästina entschieden haben.»[54] Said markiert neben der Unterscheidung zwischen der Gleichheit der Opfer und der Ungleichheit der Täter:innen eine zweite Differenz, die in den westlichen Debatten lange Zeit unbeachtet blieb, weil sie unmittelbar die eigene Rolle betrifft. Im Blick auf seine Gründung ist der israelische Staat das Produkt des westlichen Kolonialismus, aber hinsichtlich seiner staatlichen Entwicklung, seines politischen Selbstverständnisses und insbesondere seiner metapolitisch-narrativen Funktion ein Repräsentant des westlichen Staatensystems. Bei der metapolitisch-narrativen Funktion unterscheidet Said zwei Dimensionen: (1.) die genealogische Dimension, die auf Herkunft, Verwandtschaft und Abstammung zielt und sich in den politischen Institutionen widerspiegelt, und (2.) die akkumulative Dimension von Macht, Land und Legitimität und der damit verbundenen Verdrängung von anderen Personen und Gruppen, anderen Ideen und vorausgehenden Legitimationen.[55]
Illouz stellt sich der Spannung zwischen den beiden Analysedimensionen Saids, wenn sie fordert, dass die «‹Sicherheit des Staates› und die ‹Sicherheit der Juden› […] nicht ewig als Ersatz für eine echte Politik und moralische Positionen herhalten» dürften.[56] Die (Über)Lebensstrategien der sich über Jahrtausende erstreckenden Diaspora- und Exilgeschichte böten keinen Massstab und keine Legitimationsgrundlage für die Politik des Staates Israel. Die alte diasporische Antwort auf die Sicherheitsfrage habe selbst dann ausgedient, wenn der Staat unsicher und das Volk bedroht sind. Aber was soll gelten und zählen, wenn die durch die Fremde tragende Verheissung auf eine sichere Heimat in der Heimat zum Albtraum wird? Was bedeutet es, «echte Politik» zu machen und «moralische Positionen» einzunehmen? An diesen Fragen entzündet sich eine spannende Diskussion jüdisch-israelischer Autor:innen über den Status der jüdischen Diaspora-Traditionen, -Kulturen und -Erbschaften. Sollen und können sie noch Bezugspunkt und Massstab israelischer Politik sein? Wenn nicht, warum nicht mehr, und wenn doch, in welcher Weise, mit welcher Perspektive und mit welchen Risiken? Realpolitisch spielen die Fragen genauso wenig eine Rolle, wie die biblische Einsicht für die Kirchenpolitik, dass «wir hier keine bleibende Stadt [haben], sondern die zukünftige suchen» (Hebr 13,14). Gemessen an der jüdischen Verheissungs- und Vorgeschichte ist Israel ein überraschend normaler Staat (was viele orthodoxe Juden nach der Staatsgründung davon abhielt, nach Israel einzuwandern), der sich von anderen Staaten der westlichen Welt nur dadurch unterschieden, dass er (1.) ein zugleich religiöser und säkularer Staat ist, der bis heute über keine Verfassung verfügt, (2.) mit dem Erbe einer ungewöhnlichen Gründung fertig werden muss, (3.) in seiner gesellschaftlichen Entwicklung und politischen Gestaltung stark durch heterogene religiöse Strömungen jüdischer Einwanderung geprägt ist, (4.) von Anfang an in einem konfrontativen Verhältnis zu seinen Nachbarn existierte und (5.) die explosive Spannung aufgrund der affirmativen Haltung der westlichen Welt aufrechterhalten kann.
Gegen die westliche Normalisierung Israels richtet sich Saids Kritik der jüdischen Entfremdung von den unterdrückten nicht-europäischen Völkern bzw. dem Verrat der eigenen Genealogie an eine hegemoniale Politik der Akkumulation von Land, Macht und Legitimität. Illouz’ Lösung von der Rechtsstaatlichkeit Israels nach westlichem Muster weist Said als (neo)kolonialistischen Teufelspakt zurück. Die Ablehnung beruft sich auf die Bedingungen und Möglichkeiten der Koexistenz von (in der Vergangenheit bis in die Gegenwart) unterdrückten nicht-europäischen Völkern. Israel führt Kriege, um sich gegen die Angriffe seiner Nachbarn zu wehren. Aber die durch die militärischen Konfrontationen erreichten Absicherungen des Staates, entfernen ihn sukzessive von der jüdische Staatsidee. Said – der sich einmal halbironisch als der «letzte jüdische Intellektuelle» bezeichnet hat – und nicht die ultraorthodoxen Juden, deren reaktionäre Ideologien immer stärker die israelische Politik beeinflussen, wirft die Frage nach der Bedeutung und Aktualität der jüdischen Diasporageschichte für die staatliche und gesellschaftliche Identität Israels auf. Es ist die Frage von Franz Rosenzweig, Martin Buber, Hannah Arendt, Judith Butler und vielen anderen, die aktuell in Misskredit steht. Mit der Denunzierung der Frage durch die offizielle israelische Politik riskiert sich Israel nicht als säkularer Staat nach westlichem Muster, wohl aber als Staat des jüdischen Volkes.[57]
Illouz’ und Saids Bemerkungen blicken aus veränderter Perspektive auf den Israel-Palästina-Konflikt und rücken ihn in einen grösseren Zusammenhang. Für die Soziologin sitzt Israel zwischen den Stühlen der jüdischen Diaspora-Identität und dem westlichen Ideal von Rechtsstaatlichkeit, für den Literaturwissenschaftler hat Israel mit seiner Westorientierung den alternativen Vertrag mit Palästina aufgekündigt. Was damit gemeint ist, lässt sich an einem Vorschlag des Historikers Charles S. Maier verdeutlichen. Er vertritt die These, dass sich am Ende des 20. Jahrhunderts – mit zwei Weltkriegen, einer Phase der bipolaren Weltordnung und einer rasanten Globalisierung – zwei Meta-Narrative zur Deutung des aufwühlenden Jahrhunderts herausgebildet hätten. Es sind moralische Grosserzählungen, über Gut und Böse, Schuld und Trauma, die von Katastrophen ausgehen und auf die Deutung (Sinn und Funktion) des bis dahin gewaltsamsten Jahrhunderts zielen.[58] Die alternativen moralischen Meta-Narrative berichten nicht über historische Ereignisse, sondern bieten übergeordnete Deutungshorizonte für historische Ereignisphasen an: das Holocaust-Narrativ als Erzählung vom schlechthinnigen Zivilisationsbruch und das postkoloniale Narrativ als Ausdruck universeller Erfahrungen von Gewalt, Widerstand und Ungleichheit.[59] Die beiden Narrative gehören zu verschiedenen Weltregionen: «Die westliche Erzählung […] konzentriert sich auf den Holocaust und/oder die stalinistischen Massenmorde als die kulminierenden historischen Erfahrungen des Jahrhunderts. Manchmal wird dabei ihre Unterschiedlichkeit, manchmal ihre Verwandtschaft unter dem Begriff des totalitären Terrors betont.»[60] Dabei wird der Holocaust als Rückfall in die Barbarei in den Horizont einer Fortschrittsgeschichte von Humanismus, Aufklärung, Fortschritt und Rationalismus gerückt, die sich in den auf Menschen- und Bürgerrechten gegründeten, verfassungsmässigen liberalen Demokratien widerspiegelt. Ausserhalb der atlantischen Welt geht das alternative «Narrativ moralischer Gräueltaten […] davon aus, dass die Vorherrschaft des Westens über die Länder, die einst als ‹Dritte Welt› bezeichnet wurden, das massgebliche historische Gerüst des Jahrhunderts darstellt.» Obwohl die formale koloniale Herrschaft endete, «betont ihr Meta-Narrativ weiterhin die anhaltenden wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen entwickelten und weniger entwickelten Gesellschaften, als fortwirkendes Erbe dieser Herrschaft.»[61]
Bei der Wahl eines moralischen Deutungshorizonts geht es nicht um die Anerkennung oder Bestreitung der historischen Ereignisse, auf die sie sich stützen. Wer das Holocaust-Narrativ übernimmt, bestreitet nicht die Tatsache des Kolonialismus, sondern seine Funktion als übergeordnete historische Deutungskategorie. Und wer dem Kolonialismus-Narrativ folgt, verleugnet nicht den Holocaust, sondern dessen exklusiven normativen Status für das Verständnis der Vergangenheit. Erzählungen generieren Sinn und nicht Wahrheit. Die Art und Weise, wie Vergangenheit gesehen wird, hat einen Einfluss darauf, wie die Gegenwart bewertet und wie Zukunft gedacht wird. In dieser Funktion geraten die Narrative in ein Konkurrenz-, Kontrast- oder Ausschlussverhältnis. Die aktuellen Kontroversen zum Israel-Palästina-Konflikt können mit Hilfe der Meta-Narrative strukturiert werden. Illouz attestiert Israel ein Schwanken zwischen dem westlichen Triumpf über das Grauen und dem postkolonialen Festhalten an der ausstehenden Befreiung. Die Ambivalenz führt dazu, dass der israelische Staat wie das unterdrückte Volk im Befreiungskampf reagiert, anstatt sich mit dem Holocaust-Narrativ selbstbewusst auf der Seite der siegreichen Humanität zu stellen. Dagegen gehören für Said die palästinensische Identität aus der Nakba und die eigentliche israelische Identität aus der Schoa zum postkolonialen Narrativ. Paradoxerweise erscheint das Holocaust-Narrativ (nicht der Holocaust!) als die, Israel vom Westen übergestülpte Identität, die die authentische jüdische Schoa-Existenz des postkolonialen Narrativs verdeckt.[62]
Weil Personen, Gemeinschaften, Gesellschaften und Staaten ihre Identität auf Erzählungen stützen, sind diese nicht auswechselbar und – wenn überhaupt – nur schwer verhandelbar. Das erklärt die Unversöhnlichkeit, mit der sich alternative Identitätsnarrative gegenüberstehen, und die Gewalt, die von ihnen ausgehen kann. Deshalb schlummert unter einer Solidarität, die an solche Narrative andockt, eine enorme Gewalt. Die Gewaltpotentiale verstärken sich, wenn die Erzählungen – wie im vorliegenden Fall – moralisch auf systemische Strukturen menschenverachtender Gewalt reagieren. Dann besteht die latente Gefahr, die Relevanz, Berücksichtigung und Ansprüche alternativer Opfergruppen gegeneinander auszuspielen. Die Exklusivität der eigenen Opferperspektive erzeugt eine monströse Gewalt, die die «anderen» Opfer konsequent unsichtbar macht, ausradiert, noch einmal liquidiert und ihre «Betrauerbarkeit» (Judith Butler) und ihr «Recht, Rechte zu haben» (Hannah Arendt) systematisch verweigert. Wer in diesem moralischen (!) Schema gefangen ist, schreckt vor keiner Brutalität zurück. Wenn die «anderen» Opfer nicht existieren, erübrigen sich alle Fragen nach ihrer Anzahl, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrem Familienstand, ihrer Schuld oder ihrer Unschuld.
Maiers Vorschlag bietet eine Heuristik für ein vertieftes Verständnis der langen Geschichte eines Gewaltkonflikts mit immer neuen grausamen Peaks. Er liefert eine Erklärung nicht nur für die Stabilität die Konfrontation, sondern auch für seine merkwürdige Duplizierung in den aufgeheizten und feindseligen Debatten darüber – auch in den Kirchen. Die Kraft moralischer Überzeugungen beruht auf der Abwehr eines aussen. Moral kennt kein extra nos und ist in einer beeindruckenden und fatalen Weise selbstbezüglich. Davon ist auch eine Moral der Gewaltlosigkeit nicht geschützt. Sie tritt mit der Unterstellung auf, dass Gewaltkonflikte auf einem Mangel oder Bedarf an Moral beruhen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Ein Überschuss an Moral erzeugt eine Selbstgewissheit, das Richtige zu tun, die jeden Zweifel daran wegwischt. Das Problem der Gewalt im Israel-Palästina-Konflikt besteht nicht in einer moralischen Unordnung, sondern umgekehrt in einer moralischen Überdeterminierung und Besessenheit.
Das Problem der Gewalt im Israel-Palästina-Konflikt besteht nicht in einer moralischen Unordnung, sondern umgekehrt in einer moralischen Überdeterminierung und Besessenheit.
Wäre Abraham ein zeitgenössischer Jude, hätte er Ministerpräsident Netanjahu und seinen damaligen Verteidigungsminister Galant vor dem Einmarsch in den Gazastreifen gewiss die gleiche Frage gestellt, mit der er schon Gott im Ohr lag, als er erfuhr, dass dieser die gesamte Bevölkerung von Sodom und Gomorra vernichten wollte: «Willst du wirklich den Gerechten zusammen mit dem Frevler wegraffen? Vielleicht sind fünfzig Gerechte in der Stadt. Willst du sie wirklich wegraffen und dem Ort nicht vergeben um der fünfzig Gerechten willen, die in seiner Mitte sind? Das sei ferne von dir, so zu tun, den Gerechten zusammen mit dem Frevler zu töten, so dass es dem Gerechten wie dem Frevler erginge. Das sei ferne von dir! Der Richter der ganzen Erde, sollte der nicht Recht üben?» (Gen 18,23–25) Und Abraham redete so lange weiter auf Gott ein, bis er ihn auf zehn gerechte Personen heruntergehandelt hatte (vgl. Gen 18,32). Omri Boehm erzählt die Geschichte seines Helden Abraham als Beispiel für den unerschütterlichen Glauben des Erzvaters an eine universale Gerechtigkeit, vor der sogar sein Gott in die Knie ging.[63] Das biblische Gegennarrativ zu allen moralischen Legitimationserzählungen der Welt, wird die Konfliktparteien genauso wenig beeindrucken, wie die zehn Kinder des Kibbuz im Kugelhagel der Terroristen und die zehn Kinder in dem von der israelischen Armee bombardierten Kindergarten, in dessen Keller die Hamas mit perversem Kalkül ein Waffenlager eingerichtet hat. Wie sollten sie sich von zehn Kindern beeindrucken lassen, wenn die Erzählungen, die ihr Handeln bestätigen, unverrückbar sind?
[1] Aron Ronald Bodenheimer, Seid auf der Hut vor den Gewaltlosen. Zwei Reden, Zürich 2005, 29.
[2] Elad Lapidot, Kritik der diasporischen Vernunft – zu Judith Butler: Berliner Review, No. 8, Januar 2025 (online-Ausgabe).
[3] Wolfgang Lienemann, Rechtsfrieden im Land von Bibel und Koran? Eine Kantische Perspektive und die Genfer Initiative von 2003: Christiane Fröhlich/Tanja Rother (Hg.), Zum Verhältnis von Religion und Politik im Nahostkonflikt: Dokumentation einer interdisziplinären Vortragsreihe an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V., Heidelberg 2006, 11–46 (12).
[4] https://www.haaretz.com/2012-08-16/ty-article/germanys-most-important-philosopher-issues-an-urgent-call-for-democracy/0000017f-e9d0-df5f-a17f-fbde0ee20000; zit. n. Omri Boehm, The German Silence on Israel, and Its Cost: The New York Times, March 9, 2015: https://archive.nytimes.com/opinionator.blogs.nytimes.com/2015/03/09/should-germans-stay-silent-on-israel/.
[5] Omri Boehm, Israel – Eine Utopie, Berlin 2020.
[6] Theodor W. Adorno, Kants «Kritik der reinen Vernunft» (1959). Nachgelassene Schriften, Abteilung IV: Vorlesungen, Bd. 4, Frankfurt/M. 1995, 99.
[7] Boehm, Israel, 13.
[8] Vgl. Max Weber, Politik als Beruf: ders., Wissenschaft als Beruf 1917/1919. Politik als Beruf 1919. StA MWG, Bd. I/17, Tübingen 1994, 35–88.
[9] Boehm, Israel, 13–15.
[10] Hannah Arendt, Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten. Rede über Lessing, München 1960, 12.
[11] Hannah Arendt, Wahrheit und Politik: dies., Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays, München 2013, 44–92 (49).
[12] Arendt, Wahrheit, 51.
[13] Arendt, Wahrheit, 56.
[14] Arendt, Wahrheit, 57f.
[15] Arendt, Wahrheit, 63.
[16] Arendt, Menschlichkeit, 19.
[17] Wolfgang Lienemann, Anmerkungen zur «Kundgebung für die Opfer des Krieges in Gaza und Israel». Unveröff. Manuskript, Bern, 9./10.1.2009, 2.4.
[18] Die Ursachen und Entwicklungen in diesem terroristischen und anschliessend kriegerischen Gewaltkonflikt sind bekannt und müssen nicht dargestellt werden. Zu Genese, Verlauf und Kontext des Konflikts vgl. Wolfgang Kraushaar, Israel: Hamas, Gaza, Palästina. Über einen scheinbar unlösbaren Konflikt, Hamburg 2024; Lihi Ben Shitrit (Hg.), The Gates of Gaza: Critical Voices from Israel on October 7 and the War with Hamas, Berlin, Boston 2024.
[19] Vgl. Berner Mahnwache für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina https://nahostinfo-bern.ch/; https://www.refbejuso.ch/inhalte/oeme-migration/entwicklungszusammenarbeit/palaestina/israel/mahnwache; vgl. auch https://www.nahostfrieden.ch/.
[20] Aller Flyer sind zugänglich auf https://nahostinfo-bern.ch/blog/#flyer_blog.
[21] Vgl. Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund SIG/GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Antisemitismusbericht 2024 für die deutsch-, die italienisch und die rätoromanisch-sprachige Schweiz, Zürich 2025; Claude Longchamp et al., Kritik an Israel nicht deckungsgleich mit antisemitischen Haltungen. Antisemitismus-Potenzial in der Schweiz neuartig bestimmt. Schlussbericht zur Studie «Anti-jüdische und anti-israelische Einstellungen in der Schweiz». gfs.bern, Bern, 28. März 2007; Reformierte Kirche Zürich, Offener Brief an die jüdischen Gemeinden und die jüdischen Mitbürger:innen Zürichs, Zürich, 30. Oktober 2023: https://reformiert-zuerich.ch/portal/plugins/DPGportalKG/dl/F-1743412378-e6978b77d7edd42e0c84a82816cd80d8.pdf.
[22] UN Women statement on the situation in Israel and Gaza: https://www.unwomen.org/en/news-stories/statement/2023/12/un-women-statement-on-the-situation-in-israel-and-gaza.
[23] Vgl. Eva Illouz, How the Left Became a Politics of Hatred Against Jews: Haaretz February 3, 2024: https://www.haaretz.com/opinion/2024-02-03/ty-article-opinion/.highlight/how-the-left-became-a-politics-of-hatred-against-jews/0000018d-6562-d7f7-adcf-6def4fe50000; Henriette Haas, Antisemitische Desinformation und Propaganda im Gewand von Wissenschaft. Anti-Kolonialismus und Anti-Zionismus auf dem Prüfstand: Praxis der Rechtspsychologie 34/2024, 201–212.
[24] Orit Sulitzeanu, Im Trauma alleingelassen: IPG 19.12.2023: https://www.ipg-journal.de/regionen/naher-osten/artikel/im-trauma-alleingelassen-7198/; vgl. Liza Rozovsky, 15 Witnesses, Three Confessions, a Pattern of Naked Dead Bodies. All the Evidence of Hamas Rape on October 7: Haaretz Apr 18, 2024: https://www.haaretz.com/israel-news/2024-04-18/ty-article-magazine/witnesses-confessions-naked-dead-bodies-all-the-evidence-of-hamas-rape-on-oct-7/0000018e-f114-d92e-abfe-f77f7e3f0000; Carmit Klar-Chalamish, Silent Cry. Special Report by the Association of Rape Crisis Centers in Israel. The Association of Rape Crises Centers in Israel, Tel Aviv, February 2024; Office of the Special Representative of the Secretary-General on Sexual Violence in Conflict, Mission report. Official visit of the Office of the SRSG-SVC to Israel and the occupied West Bank 29 January – 14 February 2024, New York, 4 March 2024 sowie Human Rights Watch, «I Can’t Erase All the Blood from My Mind.» Palestinian Armed Groups’ October 7 Assault on Israel, New York 2024.
[25] Lienemann, Anmerkungen, 2f.
[26] Lienemann, Anmerkungen, 6.
[27] Vgl. Jan Busse/Stephan Stettler, Israels Skepsis gegenüber den UN: Vereinte Nationen 3/2018, 99–104; Alex Feuerherdt/Florian Markl, Vereinte Nationen gegen Israel. Wie die UNO den israelischen Staat delegitimiert, Berlin 2018.
[28] Vgl. Didier Fassin, Der ungleiche Wert palästinensischen Lebens: Berlin Review, No. 1, Februar 2024.
[29] Vgl. Petra Wild, Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina, Wien 2013.
[30] Mitri Raheb, Stop Praying for Gaza!: https://theimeu.medium.com/stop-praying-for-gaza-1b15658444de.
[31] Raheb, Praying [eigene Übersetzung].
[32] Lienemann, Anmerkungen, 6.
[33] Lienemann, Anmerkungen, 6.
[34] Vgl. Joseph Croitoru, Die Hamas. Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel, München 2024; Netanel Flamer, The Hamas Intelligence. War against Israel, Cambridge, New York, Melbourne 2025; Paola Caridi, Hams. From Resistence to Regime. Revised and updated Ed., New York 2023; Somdeep Sen, Decolonizing Palestine. Hamas between the Anticolonial and the Postcolonial, New York 2020; Congressional Research Service, Hamas: Background, Current Status, and U.S. Policy. CRS Reports, October 23, 2024: https://www.congress.gov/crs-product/IF12549.
[35] Rand Corporation, Lessons from Israel’s Wars in Gaza, 2017, 8.
[36] Vgl. dazu auch die Selbstdarstellung der Hamas, Our Narrative… Operation Al-Aqsa Flood, January 21, 2024.
[37] Vgl. Eric A. Heinze, International Law, Self-Defense, and the Israel-Hamas Conflict: Parameters 54/2024, 71–86.
[38] Statement of ICC Prosecutor Karim A. A. Khan KC: Applications for arrest warrants in the situation in the State of Palestine, 20 May 2024: https://www.icc-cpi.int/news/statement-icc-prosecutor-karim-aa-khan-kc-applica-tions-arrest-warrants-situation-state [eigene Übersetzung].
[39] Illouz, Left.
[40] Vgl. Frank Mathwig, Frieden stiften – nur ein frommer Wunsch? Zum Umgang mit Gewalt in Theologie und Kirche: https://www.evrefblog.ch/wp-content/uploads/2024/09/Mathwig-Frieden-stiften-%E2%80%93-nur-ein-frommer-Wunsch.-Zum-Umgang-mit-Gewalt-in-Theologie-und-Kirche-3.0-2.pdf.
[41] Bashir Bashir/Amos Goldberg, Introduction. The Holocaust and the Nakba: A New Syntax of History, Memory, and Political Thought: dies. (Hg.), The Holocaust and the Nakba. A New Grammar of Trauma and History, New York 2019, 1–42 (2) [eigene Übersetzung].
[42] Vgl. https://geneva-accord.org/the-accord/; Muriel Asseburg, Die Genfer Vereinbarung. Blaupause für eine Zwei-Staaten-Lösung in Nahost: SWP-Aktuell 43, November 2003; Schweizerische Eidgenossenschaft, Final Report. External Evaluation of the Geneva Initiative 2010-2020. For the Federal Departement of Foreign Affairs, Geneva, 27 August 2021; Lienemann, Rechtsfrieden.
[43] Vgl. International Court of Justice, Legal Consequences arising from the Policies and Practices of Israel in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem. Summary of the Advisory Opinion of 19 July 2024; Claus Kress, Bei Gaza zu weit gegangen: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/israelische-besetzung-paelaestinensischer-gebiete-gaza-was-aus-dem-igh-gutachten-folgt; Département fédéral des affaires étrangères DFAE, Analyse des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 19. Juli 2024 zu den rechtlichen Folgen, die sich aus Israels Politik und Praxis im besetzten palästinensischen Gebiet, einschliesslich Ost-Jerusalem, ergeben, Bern, 26.1.2025.
[44] Michael Woffsohn, Eine andere Jüdische Weltgeschichte, Freiburg/Br. 2022, 301.
[45] Bashir/Goldberg, Introduction, 7.
[46] Vgl. Bashir/Goldberg, Introduction.
[47] Vgl. Muriel Asseburg, 75 Jahre nach der Nakba. Die Katastrophe dauert an: APuZ 18–19/2003, 46–52.
[48] Lienemann, Rechtsfrieden, 26.
[49] Eva Illouz, Israel. Soziologische Essays, Berlin 2015, 13.
[50] Illouz, Israel, 25.
[51] Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Bd. 11, Hamburg 1978, 38f.; vgl. Liliana Ruth Feierstein, Das portative Vaterland. Das Buch als Territorium: Bernd Witte (Hg.), Topographien der Erinnerung. Zu Walter Benjamins Passagen, Würzburg 2008, 216–225.
[52] Edward W. Said, The Question of Palastine, New York 1980, 118f. [eigene Übersetzung].
[53] Vgl. die für die Ökumene höchst einflussreiche Position von Ulrich Duchrow, Palästina/Israel als Beispiel von kolonialistischem Kapitalismus in theologischer Perspektive: ders./Hans G. Ulrich (Hg.), Religionen für Gerechtigkeit in Palästina/Israel. Jenseits von Luthers Feindbildern, Münster 2017, 166–202.
[54] Said, Question, 119 [eigene Übersetzung].
[55] Vgl. Edward W. Said, Zionism from the Standpoint of Its Victims: Social Text, No. 1 (Winter, 1979),7–58 (11).
[56] Illouz, Israel, 14.
[57] Vgl. Judith Butler, Am Scheideweg, Judentum und die Kritik am Zionismus, Frankfurt/M. 2013; Lapidot, Kritik.
[58] Vgl. Charles S. Maier, Consigning the Twentieth Century to History. Alternative Narratives for the Modern Era: American Historical Review 105/2000, 807–831.
[59] Vgl. Maier, Century, 826.
[60] Ebd. [eigene Übersetzung].
[61] Ebd. [eigene Übersetzung].
[62] Vgl. Bashir/Goldberg, Introduction.
[63] Vgl. Omri Boehm, Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität, Berlin 2022, 53; vgl. ders., The Binding of Isaac. A Religious Model of Disobedience, New York, London 2007, 34–40.
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