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Reputation, Relevanz, Rückzug? Reformierte Kirche im Spiegel der Gesellschaft

Was bleibt, wenn der Respekt bleibt – aber die Beziehung schwindet?

Die neue Zürcher Religionsbefragung wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Kirche – und liefert überraschende Einsichten zur reformierten Kirche. Sie wird geschätzt, aber selten genutzt. Man vertraut ihr – aber ohne Nähe. Was bedeutet das für unsere Zukunft? Eine Analyse zwischen Selbstkritik und Zuversicht.

Worum geht es bei der Befragung?

Die römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich hat im Jahr 2024 eine umfassende Religionsbefragung in Auftrag gegeben. Der Abschlussbericht liegt nun vor – und er bietet nicht nur Einblicke in die katholische Selbstwahrnehmung, sondern auch aufschlussreiche Daten zur reformierten Kirche, zur gesellschaftlichen Rolle der Religion und zur kirchlichen Zukunft in einem zunehmend säkularen Umfeld. Über 2’900 Personen wurden befragt: Katholik:innen, Reformierte, Konfessionslose – zu ihren Erwartungen, Erfahrungen und Emotionen im Blick auf Religion, Kirche und spirituelle Angebote. Die Ergebnisse sind differenziert, stellenweise ernüchternd – und zugleich eine wertvolle Standortbestimmung für uns als Reformierte.

Was sollte uns zu denken geben?

Emotionale Distanz trotz guter Reputation

Unsere Kirche hat Ansehen – aber wenig Wärme.

Reformierte Kirchenmitglieder beurteilen ihre Kirche deutlich positiver als katholische Mitglieder die ihre – auch Konfessionslose verbinden mit der reformierten Kirche mehr Vertrauen und Offenheit. Doch: Dieses Bild bleibt distanzierte Anerkennung, keine emotionale Nähe. Die häufigste Haltung gegenüber der reformierten Kirche ist Dankbarkeit (46 %), gefolgt von Respekt (44 %). Gefühle wie Geborgenheit (34 %) oder Freude (18 %)  sind weniger präsent. Das bedeutet: Unsere Kirche hat Ansehen – aber wenig Wärme. Sie wird geschätzt, aber kaum vermisst.

Schwindende Nutzung, sinkende Bindung

Nur 40 % der reformierten Befragten schliessen einen Austritt klar aus.

Weniger als die Hälfte der befragten Reformierten gibt an, kirchliche Angebote je genutzt zu haben. Taufen, Hochzeiten oder Abdankungen sind längst keine Zugpferde kirchlichen Lebens. Achtzig Prozent der Befragten, die reformiert sind, haben weder eine Ritualbegleitung in Anspruch genommen, noch kirchlich geheiratet oder einer reformierten Trauerfeier eines engen Angehörigen beigewohnt. Selbst bei religiös sensiblen Momenten sind wir nicht mehr selbstverständlich präsent. Die Zahl derer, die einen Kirchenaustritt ins Auge fassen, liegt bei rund einem Viertel, ein Drittel spielt mit dem Gedanken, wird aber voraussichtlich bleiben. Nur 40 % der reformierten Befragten schliessen einen Austritt klar aus.

Vertrauenskrise durch Missbrauch – auch bei uns

Besonders schwer wiegt: Die Kirchen – auch die reformierten – sind nicht mehr selbstverständlich Orte des Vertrauens. Die Befragung zeigt: Die Missbrauchsfälle in kirchlichen Kontexten haben nicht nur bei Katholik:innen tiefe Spuren hinterlassen. Auch reformierte Mitglieder äussern Zweifel an der Integrität kirchlicher Institutionen. Das Vertrauenskapital, auf dem kirchliche Arbeit lange beruhte, ist erschüttert – und lässt sich nur durch glaubwürdige Aufarbeitung und präventives Handeln wieder aufbauen.

Welche Chancen lassen sich erkennen?

Trotz aller Herausforderungen bietet die Studie auch ermutigende Ansatzpunkte für die reformierte Kirche:

Reformierte Glaubwürdigkeit ist intakt – aber leise

Die reformierte Kirche wird als transparent, demokratisch und offen wahrgenommen. In einer Zeit wachsender Polarisierung ist das ein starkes Gut. Sie hat die Chance, genau daraus neue Formen kirchlicher Präsenz zu entwickeln – nicht über Macht oder Dogma, sondern durch Dialog, Bildung, soziale Verantwortung und geistliche Begleitung.

Menschen suchen Sinn – nicht Organisation

Die Befragung zeigt: Die Nachfrage nach Spiritualität, Ethik und existenziellen Fragen ist ungebrochen. Was fehlt, ist oft der Kontakt zur Kirche – nicht das Bedürfnis nach Orientierung. Hier liegt die Chance für niederschwellige Formate, für digitale Präsenz, für starke Inhalte. Kirche darf wieder spirituelle Autorität wagen – ohne autoritär zu sein.

Vertrauen entsteht durch Haltung – nicht durch Angebot

Gerade angesichts des Vertrauensverlustes durch kirchliches Versagen ist klar: Programme genügen nicht. Entscheidend ist eine Haltung: transparent, zugewandt, lernbereit. Dort, wo Reformierte zuhören, Verantwortung übernehmen und Räume öffnen, entsteht neue Glaubwürdigkeit.

Fazit

Die Zürcher Religionsbefragung hält uns einen ehrlichen Spiegel vor. Sie zeigt: Unsere Reputation ist besser, als wir oft denken – aber unsere Relevanz für die individuelle Spiritualität und ethische Orientierung ist schwach. Damit ist nichts gegen die gesellschaftliche Relevanz kirchlicher Angebote in diakonischen Bereichen gesagt, sie werden auch von jenen geschätzt, die nicht Mitglied einer Landeskirche sind. Aber ohne persönliche Kontakte zur Kirche ist die Kirchenbindung gering, die Mitgliedschaft fragil. Das Vertrauen, das aus persönlichen Beziehungen erwächst, ist entscheidend. Umso wichtiger ist jetzt der Weg der Kirche als lernende, zuhörende, glaubwürdige Gemeinschaft. Nicht laut, aber klar. Nicht perfekt, aber offen.

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Autor:in

Stephan Jütte

Stephan Jütte

Dr. theol., Leiter Theologie und Ethik, Mitglied der Geschäftsleitung

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