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In ihrem Werk Transformative Ethik. Wege zur Liebe legen Thorsten Dietz und Tobias Faix eine umfassende und zugleich praxisorientierte Darstellung moderner Sexualethik vor, die theologische Tiefe und gesellschaftliche Relevanz meisterhaft miteinander verbindet. Die Autoren adressieren zentrale Fragen unserer Zeit zu Themen wie Gender, Sexualität und Lebensformen – und zwar auf eine Weise, die weder moralisierend noch dogmatisch ist, sondern zu Reflexion und Dialog anregt. Dies gelingt ihnen durch einen transformativen Ansatz, der nicht nur die Spannung zwischen biblisch-theologischen Leitlinien und gesellschaftlichen Entwicklungen anerkennt, sondern sie produktiv gestaltet.
Das Buch widmet sich der Herausforderung, eine pluralitätsfähige Sexualethik zu entwickeln, die den Anforderungen einer modernen Gesellschaft gerecht wird und die Grundlagen christlichen Glaubens wirklich als Grundlagen und nicht nur als Ornament mitführt. Dabei beginnt es mit einer Einführung in die Idee der transformativen Ethik. Diese wird als dynamischer Prozess beschrieben, der auf den drei Werten Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit basiert. Ethik, so die Autoren, ist nicht starr, sondern eine fortlaufende Auseinandersetzung mit neuen sozialen, kulturellen und technischen Entwicklungen. Mithilfe eines achtstufigen Modells für ethische Entscheidungsfindung zeigen Dietz und Faix, wie Leser:innen ihre eigenen Überzeugungen reflektieren und in einen konstruktiven Dialog mit anderen Perspektiven treten können.
Das Buch entwickelt ein relationales Menschenbild, das sich aus theologischen und anthropologischen Quellen speist. Relationalität, Verkörperung und Offenheit werden als zentrale Dimensionen menschlichen Lebens betont. Dabei beziehen die Autoren feministische und queere Theologien ein, um die traditionellen Deutungen von Geschlecht, Sexualität und Identität zu erweitern. Das Menschenbild wird nicht als starres Konstrukt, sondern als dynamische Realität verstanden, die sich in Beziehungen entfaltet und bildet das Scharnier zwischen theologischen Grundlagen und Wahrheitsansprüchen und der Wirklichkeitserfahrung von Welt:
«Die Sicht des Menschen ist ein Kristallisationspunkt des Story-Konzepts. Der Mensch als Geschöpf, als Sünder:in, berufen, gerechtfertigt und geheiligt, zur Vollendung bestimmt – im Verständnis des Menschen lasst sich die Logik der ganzen Story verdichten.» (58.)
Von dort aus nimmt diese Ethik die historischen und aktuellen Debatten zu Gender und Geschlechtergerechtigkeit in den Blick. Dietz und Faix zeichnen die Entwicklung patriarchaler Strukturen nach und stellen diese in Beziehung zu modernen Gender-Theorien, die eine Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und Ausdrucksformen betonen. Vieldiskutierte Themen wie Transidentitäten, Intergeschlechtlichkeit und die ethischen Herausforderungen der digitalen Sexualität werden sensibel und differenziert behandelt.
Die Autoren gehen zudem auf die Vielfalt menschlicher Lebensformen ein, darunter Ehe, Familie, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Polyamorie. Sie betonen, dass traditionelle Modelle – wie die monogame Ehe – nicht abgeschafft, sondern um neue Formen ergänzt werden müssen, die den Werten von Treue, Fürsorge und Gerechtigkeit entsprechen. Im Kapitel zur Sexualität werden Fragen nach Konsens, Scham, sexualisierter Gewalt und den Auswirkungen digitaler Technologien diskutiert, ohne dabei die biblischen Bezüge aus dem Blick zu verlieren.
Abschliessend bietet das Buch konkrete Instrumente zur Bearbeitung von Konflikten. Hier überzeugen Dietz und Faix durch methodische Klarheit und einfühlsame Ansätze, die auf Dialog und gegenseitige Anerkennung abzielen. Modelle wie „Versöhnte Verschiedenheit“ oder „Good Disagreement“ zeigen Wege auf, wie kirchliche und gesellschaftliche Konflikte umstrittene Themen wie LGBTQ+-Rechte oder die Ehe für alle konstruktiv bearbeiten können.
Transformative Ethik. Wege zur Liebe beeindruckt, indem es nicht nur aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen adressiert, sondern diese in leicht zugänglicher Weise in eine grössere theologische Perspektive einordnet. Thorsten Dietz und Tobias Faix gelingt es, die komplexen Spannungsfelder von Sexualität, Geschlecht und Beziehungen mit einer Klarheit zu analysieren, die sowohl Fachleute als auch interessierte Laien anspricht.
Besonders hervorzuheben ist die Fähigkeit der Autoren, Brücken zwischen unterschiedlichen Perspektiven zu bauen. Sie schaffen es, sowohl konservative als auch progressive Positionen wertschätzend darzustellen und einen Raum für produktive Auseinandersetzungen zu eröffnen. Dabei verzichtet das Buch auf einfache Antworten oder fertige Lösungen. Stattdessen lädt es dazu ein, moralische Fragen im Kontext von Beziehungen, Gemeinschaften und konkreten Lebenssituationen zu reflektieren.
Die didaktische Aufbereitung des Buches ist vorbildlich. Durch klare Struktur, methodische Hinweise und Praxisbeispiele eignet sich das Werk nicht nur für akademische Kreise, sondern auch für den Einsatz in kirchlichen Bildungsprogrammen oder Gesprächsgruppen. Es fordert Leser:innen auf, sich aktiv mit den eigenen Überzeugungen auseinanderzusetzen, und gibt ihnen gleichzeitig Werkzeuge an die Hand, um sexualethische Konflikte konstruktiv anzugehen.
Eine besondere Stärke liegt in der Einbeziehung marginalisierter Perspektiven. Feministische und queere Theologien werden nicht nur als ergänzende Stimmen gehört, sondern als unverzichtbare Bestandteile einer gerechten und zukunftsfähigen Sexualethik integriert. Dabei gelingt es den Autoren, Differenzen und Ambivalenzen anzuerkennen, ohne den Anspruch auf ethische Orientierung aufzugeben.
Bestimmt werden konservative Stimmen nach einer stärkeren Verbindlichkeit rufen, als diese transformative und kontextsensible Ethik sie zu erzeugen vermag. Vielleicht ist die normative Bescheidenheit der Autoren aber auch der Einsicht geschuldet, dass echte Verbindlichkeit nicht diktiert werden soll, sondern das Ergebnis gemeinschaftlichen Ringens um umstrittene Fragen darstellt, vorläufig bleibt und ihre Halbwertszeit sich nur dann verlängert, wenn sie diejenigen Stimmen berücksichtigt, die von der Zukunft oder mindestens aus der Gegenwart zu uns sprechen.
Mit Transformative Ethik. Wege zur Liebe legen Thorsten Dietz und Tobias Faix einen Ansatz vor, indem Theologie gesellschaftlich relevant erscheint – vielleicht auch weil die Autoren darauf verzichten, diese Relevanz einzufordern. Dadurch ist ein Werk entstanden, das Grenzen überwinden kann, zwischen akademischem Publikum und am Christentum interessierten Denker:innen, zwischen dem Gebiet der Sexualethik und allgemein christlicher Anthropologie und zwischen Theorie und Praxis. Die Autoren laden ein, Sexualität, Geschlecht und Beziehungen in ihrer ganzen Vielfalt zu betrachten und dabei die zentralen christlichen Werte Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit als Leitlinien zu nutzen. Daraus ist ein wertvoller Beitrag für all jene entstanden, die sich mit den ethischen und theologischen Fragen des Menschseins im 21. Jahrhundert auseinandersetzen möchten.
Das Buch ist in der Reihe IST – Interdisziplinäre Studien zur Transformation erschienen. Bereits erschienen ist Transformative Ethik – Wege zum Leben 2024 (3). Die Reihe widmet sich den Themen Globalisierung, Digitalisierung, Polarisierung, klimagerechte Gesellschaft aus interdisziplinärer Perspektive und verknüpft wissenschaftliche Erkenntnisse mit der Glaubenspraxis. Sie wird herausgegeben von Sandra Bils, Thorsten Dietz, Tobias Faix, Tobias Künkler und Sabrina Müller.
Transformative Ethik. Wege zur Liebe von Thorsten Dietz und Tobias Faix erscheint am 10.3.2025 und kann vorbestellt werden.
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