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Vernetzen, um den Zug Palliative Care auf Kurs zu halten

Die Bedeutung der Palliative Care wächst, sowohl gesellschaftlich als auch politisch, und die geplante ökumenische Koordinationsstelle soll entscheidend dazu beitragen, die Rolle der Seelsorge klarer zu definieren und zu vernetzen. An einer Vernetzungstagung haben Seelsorgende und Fachpersonen nun gemeinsam Wege gesucht, um die Kirchen in der Palliative Care noch besser zu positionieren.

Ferrophile Personen hätten an der Vernetzungstagung zur Palliative Care wohl ihre helle Freude gehabt: So machten Referentinnen und Teilnehmende sich das Bild des fahrenden Zuges an ihrem Austauschtreffen in Bern mehr als einmal zu eigen. Weichen stellen, auf den fahrenden Zug aufspringen und im komplexen Schienennetz den Überblick nicht verlieren. Das trifft auch alles auf die spirituelle Begleitung in der Palliative Care zu. Um diese Herausforderungen anzugehen, hatte die Fachgruppe Palliative Care der EKS die Ausgabe ihres zweijährlichen Treffens im Januar 2025 ganz der Vernetzung gewidmet. Ein reformierter Zwischenhalt, um Sorgen, Hoffnungen und Erwartungen festzuhalten.

Was ist Palliative Care?

Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patientinnen und Patienten sowie ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. (Defintion gemäss World Health Organization (WHO))

«Palliative Care ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, das richtig Fahrt aufgenommen hat», stellte gleich zu Beginn Catherine Berger, Vizepräsidentin des Rats EKS und zuständig für das Ressort Diakonie und Seelsorge, in ihrem Gruss an die Tagung fest. Das Lebensende ist buchstäblich für alle ein Thema und die Politik erkenne, auch befeuert durch die Diskussion um die Sterbekapsel Sarco, die Bedeutung der Palliative Care. Fachleute erfüllen darin einen Auftrag der Kirche (Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Mt 25,36) und für die Gesellschaft.

Mit Volldampf im Zug Palliative Care

Insofern sitzen die Seelsorgenden im richtigen Zug, oder? Theres Meierhofer, Präsidentin der Fachgruppe und Leiterin eines Pflegeheims, zeichnete in ihrem Blick auf die Fahrtstrecke da eher ein gemischtes Bild. Sie fragte provokant «Ist der Zug schon abgefahren?». Dabei hatte es für sie 2007 mit der wegweisenden Broschüre des Kirchenbundes «Das Sterben leben» so positiv begonnen. Auch in seiner nächsten Legislatur machte der Rat sich damals für menschenwürdiges Leben und Sterben im Alter stark. Dennoch: In Meierhofers Augen fällt es Kirche und Gesellschaft schwer, das vierte Lebensalter mit Abhängigkeiten und Schwäche zu akzeptieren. Dieser Abwertung «entgegen zu wirken wäre Aufgabe der Kirche», so die Fachfrau. Auch auf das Thema Bilanzsuizid und in der Coronakrise hätten die Reformierten keine anwendbaren Antworten gefunden. Letzteres war für Meierhofer ein Tiefpunkt.
Ist der Zug also entgleist? Nein, denn die Expertin sieht auch fruchtbare Aufbrüche. Schon früh engagierten sich einzelne Kantonalkirchen für die Palliative Care, ebenso formierte sich ein Fachverband. Im Zuge der nationalen Palliative Care Strategie des Bundes stellte der Kirchenbund dann die Arbeitsgruppe Palliative Care (mit Mitgliedern aus Berufsverband, allen Mitgliedkirchen, Leitungen) zusammen, die seit 2013 fünf Vernetzungstagungen aufgleiste. Die Kirchen sind im Feld der Palliative Care also seit langem aktiv und anerkannt.
Dabei war die Notwendigkeit einer Koordination regional und kantonal unumstritten, national war man noch nicht so weit. Doch mahnte die Referentin: «Die Politik sagt national, was bezahlt werden muss, deshalb müssen wir da präsent sein.» Die Bedeutung der Kirchen in der Palliative Care gerät in Bedrängnis, auch durch andere Fachinstanzen in diesem Bereich.
Meierhofer blickt dennoch optimistisch auf die nächste Teilstrecke: Die EKS will in der aktuellen Legislatur gesamtgesellschaftliche Impulse setzen und Innovation fördern. Zudem nimmt die ökumenische Koordinationsstelle «Seelsorge im Gesundheitswesen» nun ihre Arbeit auf.

«Die Politik sagt national, was bezahlt werden muss, deshalb müssen wir da präsent sein.» Theres Meierhofer

Die Rolle der Seelsorge definieren

Ihre Sicht als Medizinerin brachte die zweite Referentin der Tagung, Dr. Tanja Volm, ein. Sie definierte Palliative Care als kein Geschäft der Medizin, vielmehr ist sie interdisziplinär. Doch: Was ist das Angebot der Seelsorge und wo ist ihr Platz im Gesundheitswesen? Die Expertin riet also zur Rollenklärung und zum selbstbewussten Auftreten innerhalb von Spitälern und Institutionen. Es gilt im Behandlungpfad der Patientinnen und Patienten als Seelsorge mit berücksichtigt zu werden. Seelsorge ist nicht eine verzichtbare Komponente oder reiner Kostenfaktor. Um professionell und verständlich aufzutreten, riet Volm der Spiritual Care, von einer «religiös kulturell definierten Rolle hin zu einer sozial definierten Rolle» zu kommen. Hier kann das Konzept der Spiritualität eine Brücke zwischen Medizin und Seelsorge bauen.

Erwartungen an die Koordinationsstelle Seelsorge im Gesundheitswesen

Die beiden Vorträge der Referentinnen brachten eine engagierte Diskussion der Seelsorgenden und Fachpersonen ins Rollen: Die Kirchen müssen im Gesundheitswesen ihre Angebote besser verkaufen und sich vernetzen. Wenn jede Mitgliedkirche bei der Auflistung der Angebote von null anfangen muss, binde dies zu viele Ressourcen. Diese Vernetzungsaufgabe sowie die politische Mitwirkung bei Palliative Care Themen strichen die Teilnehmenden klar als zukünftige Aufgabe der Koordinationsstelle heraus. Sie solle den Überblick über alle Konzepte und Aufbrüche haben und auch regionale Impulse aufnehmen.

Und dieses Pflichtenheft für die neue Koordinationsstelle wuchs während der Tagung zeimlich an: So stellt Catherine Berger den Stand des Fahrplans nach der Unterzeichnung des Koorperationsvertrags im November 2024 vor. Die neue ökumenische Stelle soll Ort des Dialogs sein und die Stimmen der Kirchen abbilden, ohne eine Norminstanz zu sein. Sie soll interkirchliche Akteure vernetzen und Wissen bündeln. Berger sieht als Beispielthemen die Präsenz in allen Pflegeinstitutionen, mobile Spiritual Care, Arbeitsdokumentation oder auch der Umgang mit Ressourcenknappheit. Die Koordinationsstelle, die aus einer Konferenz, einem Steuerungsausschuss und einer Geschäftsführung (sozusagen: «Lokführer:in») bestehen wird, soll sich für gute Rahmenbedingungen für Seelsorge politisch einsetzen. Zudem muss sie Entscheidungsgrundlagen für Kirchen erarbeiten und zur kompetenten Ansprechpartnerin für das Gesundheitswesen werden.

Moderatorin Claudia Graf, Beauftragte Spezialseelsorge Palliative Care in der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn, und Renata Aebi, Theologin und Spitalseelsorgerin mit Zusatzausbildung in Spezialseelsorge und Spiritual Care, stellten bündig dar, wo die Palliative Care gerade steht. «Die Kirchen sind mit an Bord des Zuges des Gesundheitswesens. Das Schienennetz, also die Modelle, sind sehr verästelt», so Graf. Es existiert eine Vielzahl von Netzwerken, zudem hat der Fachverband Palliativ.ch Leitlinien und Standards für Berufsleute herausgegeben. Der 2022 gegründete Berufsverband will Berufsprofile weiterentwickeln, Standards definieren (den eigenen Beitrag für Gesundheitsversorgung darstellen) und hat zudem Handlungsfelder definiert.

«Die Kirchen sind mit an Bord des Zuges des Gesundheitswesens. Das Schienennetz, also die Modelle, sind sehr verästelt.» Claudia Graf

Am Nachmittag bestiegen die Teilnehmenden verschiedene Workshop-«Waggons». In der von Susanna Meyer Kunz geleiteten Runde wurde deutlich, dass Seelsorge auf Akutstationen noch nicht selbstverständlich integriert ist. Die geistlich-spirituelle Dimension, obwohl schwer zu fassen, sollte von einer Koordinationsstelle klarer definiert und sichtbar gemacht werden.
Im ambulanten Bereich existieren zahlreiche Projekte landesweit. Mit Workshopleiter Daniel Burger hielten die Teilnehmenden den Wunsch fest, die Koordinationsstelle solle erfolgreiche Praktiken sammeln und die Zusammenarbeit zwischen ambulanten und stationären Diensten stärken. Die zunehmende Bedeutung ambulanter Pflege und die Bedürfnisse der alternden Babyboomer sind ebenfalls zu berücksichtigen. Freiwilligenarbeit muss aufgewertet und besser anerkannt werden.
In der Diskussionsrunde von Theres Meierhofer wurde deutlich, dass in Hospizen die Seelsorge ein essenzieller Bestandteil des Teams ist. In Pflegeheimen wird eine hohe Spezialisierung der Seelsorge benötigt. Die Koordinationsstelle könnte dabei helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen und mehr Fachkräfte zu gewinnen.

EKS blog

Autor:in

Michèle Graf-Kaiser

Michèle Graf-Kaiser

Fachmitarbeiterin für Medienkommunikation Deutschschweiz/Collaboratrice pour communication médias suisse-alémanique

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