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Im Rahmen der Tagung für Kirchenentwicklung der Reformierten Kirchen Bern – Jura – Solothurn (RefBeJuSo) hat Stephan Jütte ein Referat über das «Loslaufen – der Hoffnungslauf im Slalom» gehalten. Die Tagung ist in die Trias «Warte – luege – lose – loufe» gegliedert. Diese Metapher erinnert an das Zögern vor einem Fussgängerstreifen: Erst schauen, dann hören, dann losgehen. Aber trifft das wirklich auf die Realität von Projekten zu? Jütte meint: Projekte sind keine klar strukturierten Übergänge mit eindeutigen Signalen. Vielmehr sind sie organische Prozesse, in denen Erfolg nicht durch Planung allein, sondern durch kulturelle Faktoren wie Teamkultur, Vertrauen und Grosszügigkeit entsteht. Ein Plädoyer für mehr Grosszügigkeit und weniger Budget, mehr Geist und weniger Kontrolle, mehr Lust und weniger Motivation und ein christliches Kirchen- und Menschenbild.
Wir versuchen, Projekte abzusichern: mit präzisen Beschreibungen, Budgets und Zielen. Das gibt uns ein Gefühl der Kontrolle. Wir wollen mit dem Geld, das uns Menschen und Unternehmen durch ihre Kirchensteuern anvertrauen wollen oder müssen, sorgsam umgehen. Das ist richtig. Aber dieses Denken ist bestenfalls dazu geeignet, Risiken zu minimieren und kaum dazu, erfolgreich zu sein.
Ich selbst kann mich an kein einziges Projekt erinnern, das ich erfolgreich durchgeführt habe, weil ich es minutiös geplant, zielgerichtet durchgeführt oder gut kontrolliert hätte.
Ich selbst kann mich an kein einziges Projekt erinnern, das ich erfolgreich durchgeführt habe, weil ich es minutiös geplant, zielgerichtet durchgeführt oder gut kontrolliert hätte. Diese Faktoren helfen beim Wocheneinkauf (Aktionen berücksichtigen, schwere und sperrige Dinge liefern lassen, kurze und direkte Wege planen) oder Zähneputzen – also sehr standardisierten Abläufen. Wer so einen Familienurlaub planen und verbringen, eine Wanderung mit Freunden unternehmen oder einen Marathon laufen möchte, wird kläglich scheitern und dabei meistens sich selbst und anderen Gewalt antun.
Wenn ich heute mein Proposal für mein Dissertationsprojekt durchlese, das ich ganz zu Beginn meiner Assistenzzeit eingeben musste, überkommt mich ein breites Grinsen. Es zeigt eindrücklich, dass ich keine Ahnung hatte und viel lernen musste. Ich kannte weder das Thema noch konnte ich auch nur ungefähr einschätzen, welcher Frageumfang im Rahmen einer Dissertation überhaupt zu bewältigen ist. Offensichtlich konnte oder wollte das auch sonst niemand. Diejenigen die es könnten, wissen, dass es nichts bringt und wer daran glaubt, kann es wahrscheinlich schlicht nicht.
Als ich vor neun Jahren in Zürich das Konzept für die Hochschulseelsorge geschrieben habe – mit Kennzahlen, Zielformulierungen und einer Umfeldanalyse – habe ich selbst daran geglaubt, dass dieses Konzept tragfähig sein würde. Heute weiss ich, dass für den Projekterfolg eine kleine Gruppe von Studis verantwortlich war, die aus dem Projekt mit seinen Zahlen und Zielen durch ihre Persönlichkeiten, ihr Teamwork und die gute Stimmung einen wertvollen Ort geschaffen haben. Das war nur möglich, weil man uns viele Freiheiten in Form von Stil, Angebot und Finanzen gelassen hat. In dieser Freiheit haben wir gemeinsam ziemlich bald alles verändert, verbessert und – das Wichtigste überhaupt: weggelassen! – was ich ursprünglich geplant hatte.
Wir haben es uns gegenseitig beigebracht.
Als ich etwas später das RefLab aufbauen durfte, ahnte ich schon, dass die Umfeldanalyse und der Finanzplan eher dekorative Entscheidungshilfen sind und das Allermeiste vom Team abhängen wird. Dieses Team hat – bis auf eine einzige Mitarbeiterin – absolut keine Erfahrung mit Podcasts gehabt oder wusste, worauf wir im Aufbau unseres Instagram-Profils zu achten hätten. Wir haben es uns gegenseitig beigebracht. Jede kannte irgendjemanden, der weiterhelfen kann, jeder wusste von einer, die etwas kann oder weiss. Wäre bei Projektbeginn klar gewesen, was alles fehlt, was wir alles lernen werden, wir hätten schlagartig eingesehen, dass das nicht zu schaffen ist. Weil die Reformierte Kirche des Kanton Zürich uns das zugetraut hat und uns hat machen lassen, weil genug Geld und sehr viel Goodwill da waren, konnte dieses Team entstehen, das dieses RefLab gebildet hat.
Ich ahne den Einwand: Der verwöhnte Student, der kirchliche Mitarbeiter im Speckmantel einer reichen Verwaltung will uns erklären, wie Projekte funktionieren? Ist keine Kunst, ohne Leistungsdruck und eigenes finanzielles Risiko!
Und dieser Einwand stimmt. Was mir gelungen ist und wo ich Teil gelungener Projekte war, verdanke ich sehr guter Umstände. Aber es ist insofern falsch, als dass Druck, persönliche Insolvenz oder Gesichtsverlust – all das, was unter ungünstigen Bedingungen drohen mag – keine Bedingungen sind, die Erfolg begünstigen würden. Das funktioniert vielleicht dann, wenn sie einen konkreten Auftrag geben, zum Beispiel für einen Parkettboden, der verlegt werden soll oder für einen Cateringservice, bei dem Erwartungen (Angebot und Anzahl Gäste) und ein Preis festgelegt werden. Man kann das gerne als Projekt bezeichnen, aber diese «Projekte» unterscheiden sich erheblich von der Erarbeitung einer Dissertationsschrift oder dem Aufbau eines digitalen Bildungsprojekts. Projekte, die ich meine, erbringen nicht einfach konkrete Dienstleistungen, sondern bringen unterwegs explorativ in Erfahrung, wie eine Dienstleistung oder ein Produkt überhaupt sein könnte, sollte oder müsste.
Eine Studie der Hochschule Koblenz von Prof. Ayelt Komus zu «Evidenzbasierten Erfolgsfaktoren für Projektmanagement»[1] zeigt: Ich bin kein Spezialfall. Nach Auskunft der Befragten sind „Projekt-Teamwork“, „Projektsteuerung und -entscheidung“ und „Teammotivation“ erfolgsentscheidend. Projekterfolg korreliert mit Teamwork, Entscheidungsfreiheit und Motivation, während Misserfolg oft mit mangelhafter Entscheidungsstruktur, unklaren Aufträgen und fehlendem Teamgeist zusammenhängt.
In der Managementliteratur ist die Gleichung Können x Wollen x Dürfen = Erfolg für die Leistungserbringung weit verbreitet. Nicht selten denkt man bei «Können» an den Reifegrad und das Knowhow der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei «Wollen» an deren Motivation und Veränderungsbereitschaft und bei «Dürfen» an die Aufgabendelegation und die klare Zuständigkeit. Ich halte diese Zuteilung für kurzschlüssig. «Können» kann das Ergebnis dessen sein, was sich ein Team unterwegs gemeinsam erarbeitet, «Wollen» kann die Neugierde, Vorfreude und den Enthusiasmus meinen, die nicht ausgebremst werden durch unnötige Leistungsmessungen, Deadlines oder bürokratische Irrwege, sondern in einem grosszügigen, vertrauensvollen Umfeld gedeihen. Nicht selten sind diejenigen die dürfen, auch jene, die wollen.
Die klassische Erfolgsformel Erfolg = Können × Wollen × Dürfen bleibt richtig – aber sie muss neu gedacht werden:
Wer so denkt, versteht unter Erfolg nicht nur und vielleicht nicht einmal vor allem das realisierte Projekt, sondern auch die Kultur und der Geist, die innerhalb eines Projekts entstehen.
Hier stellt sich eine kritische Frage: Wie viele Ressourcen fliessen in Anträge, Kontrolle und Wirkungsmessung – und wie viel bleibt für diese erfolgskritischen Faktoren wie Teamspirit, Vertrauen, Neugierde und Freude übrig? In der Projektarbeit werden oft immense Energien darauf verwendet, Vorlagen zu erfüllen, Fortschrittsberichte zu schreiben und Messwerte zu liefern, die suggerieren, dass alles unter Kontrolle ist. Doch wie viel investieren wir in Teambuilding, Teamkultur und Motivation – also genau in das, was nachweislich den Projekterfolg ausmacht? Wenn wir wirklich Projekte fördern wollen, die etwas verändern, dann müssen wir überlegen, wo wir unsere Ressourcen investieren. Vertrauen und Grosszügigkeit sollten nicht nur Schlagworte sein, sondern sich in den Strukturen widerspiegeln.
Grosszügigkeit ist der Sauerstoff für Projekte. Sie ist das Vertrauen, dass sich Dinge entwickeln, auch wenn man sie nicht im Voraus festlegt. Sie ist das offene Spielfeld, auf dem Menschen wagen, etwas Neues zu probieren, ohne dass sofort ein Bericht darüber geschrieben werden muss. Grosszügigkeit stärkt das Können, das Wollen und das Dürfen: Sie macht Teams mutiger, weil sie Fehler zulässt. Sie gibt Entscheidungsfreiheit, weil sie nicht jede Unsicherheit ausschliessen will. Sie schafft Raum für Neugier und Experimentierfreude. Ohne Grosszügigkeit erstickt jedes Projekt unter bürokratischer Kontrolle. Sie ist die Luft, die Teams atmen, der Boden, auf dem Kreativität wächst.
Elon Musk und Jesus verbindet ein entscheidender Wesenszug: Beide sind dafür bekannt, visionär zu denken und sich nicht von einschränkenden Regeln oder festgefahrenen Strukturen aufhalten zu lassen. Sie überschreiten Grenzen und öffnen neue Räume – doch ihre Visionen und Methoden könnten unterschiedlicher kaum sein.
Elon Musk schafft Regeln und Beschränkungen ab, um maximale Effizienz, Geschwindigkeit und kompromisslose Leistung zu ermöglichen. In seiner Welt gilt: Nur die Besten setzen sich durch, und wer nicht mithalten kann, wird schnell ersetzt. Entscheidungen erfolgen direkt und hart, der Erfolg wird strikt gemessen. Bei Musk bedeutet weniger Regeln nicht mehr Freiheit, sondern härteren Wettbewerb und stärkeren Leistungsdruck.
Jesus dagegen hebt Regeln und Beschränkungen auf, um Menschen Freiheit, Vertrauen und Verantwortung zu schenken. Er vertraut gerade jenen Menschen, die nach gesellschaftlichen Massstäben unqualifiziert oder unwürdig erscheinen. Jesus’ Vision ist geprägt von Gemeinschaft, Hoffnung und Wachstum durch Vertrauen und Grosszügigkeit. Fehler werden nicht bestraft, sondern vergeben, und aus Fehlern darf Neues entstehen.
Musk setzt auf Kontrolle und Effizienz, Jesus auf Freiheit und Gnade. Der eine baut auf Konkurrenz, der andere auf Gemeinschaft. Beide sind Visionäre, doch während Musk die Grenzen der Effizienz erweitert, öffnet Jesus Räume für menschliches Wachstum und Vertrauen.
Aus der Perspektive effizienter Ressourcennutzung wäre Jesus als Projektleiter kaum erfolgreich. Er erzählt vom Sämann, der verschwenderisch sät – im Wissen, dass nicht alle Saat Früchte tragen wird. Doch es geht ihm nicht um maximale Effizienz oder die perfekte Erfolgsprognose. Vielmehr beschreibt Jesus, wie das Reich Gottes in die Welt kommt: durch grosszügiges Vertrauen, bedingungslose Hoffnung und die Bereitschaft, auch dort zu säen, wo der Erfolg nicht garantiert ist. Während Musk jeden Samen nur dorthin setzt, wo maximale Chancen bestehen, wirft Jesus den Samen grosszügig überall aus – auf fruchtbare Felder ebenso wie auf steinige Wege. Denn wo echtes Leben entsteht, lässt sich nicht planen oder berechnen. Die Logik des Evangeliums ist deshalb nicht Effizienz, sondern grosszügige Hoffnung und Vertrauen. Auf diesem Weg werden Schwache stark und Arme reich – nicht als festgelegtes Ziel, sondern nebenbei und unterwegs.
[1] https://www.gpm-ipma.de/wissen/studien/erfolgsfaktoren-im-projektmanagement-eine-evidenzbasierte-studie
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