Frauen- und Genderkonferenz spricht an ihrer Tagung über «Rassismus. Kirche. Perspektiven.»
Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, von dem sich auch die evangelisch-reformierte Kirche nicht ausnehmen kann. Ob bei der Stellensuche, im täglichen Miteinander oder in Entscheidungsgremien: zahlreiche Menschen in der Schweiz sind rassistischen Äusserungen und Benachteiligungen ausgesetzt. Wie werden wir wacher für diese ausgrenzenden Taten? Wie können wir sie vermeiden und unsere eigene Einstellung verändern? Das fragte jetzt die Frauen- und Genderkonferenz (FGK) der EKS in Bern. Sie lud zu ihrer Tagung «Rassismus. Kirche. Perspektiven.» drei Expertinnen ein.
Die Vorsitzende des FGK-Ausschusses, Sabine Scheuter, zeigte sich zur Eröffnung zufrieden, dem Thema endlich eine Tagung widmen zu können. Denn Rassismus komme im kirchlichen Alltag vor: ob beim Krippenspiel oder bei der Stellenbesetzung.
Doch vor dem Blick nach innen, weitete die erste Referentin des Tages zuerst die Perspektive der Teilnehmerinnen: Die Soziologin Anja Nunyola Glover, eine Schweizerin mit ghanaischen Wurzeln, arbeitet als Antirassismus-Trainerin und hat 2024 den Bestseller «Was ich dir nicht sage» veröffentlicht. Anhand ihrer eigenen Familiengeschichte machte sie deutlich, wie verflochten Kolonialismus und Missionstätigkeit waren. Ihre Familie erfuhr die Herabsetzung der einheimischen Kultur. Die eigenen Sprachen galten als minderwertig, Volksglauben wie Voodoo wurde verteufelt. Indem die Missionare das «Weiss sein» als Krone der Schöpfung und hohe Zivilisationsstufe darstellten, legten sie einen der Grundsteine für den bis heute anhaltenden Rassismus.
Besonders ging Glover auf die Herabsetzung der Frauen als «weiter weg von Gott» ein, ihr gesellschaftlicher Beitrag werde nicht gewürdigt. Und auch heute noch: Manche Menschen fühlen sich in der Kirche fremd und nicht willkommen, man sieht sie als minderwertig oder hilfsbedürftig an, sie müssen aus ihrem Elend errettet werden (White Saviorism Complex stellt Rettende in den Mittelpunkt). Die Referentin machte deutlich: Über Fragen wie «Warum sind wir die, die spenden? und Warum muss der Gegenseite aus unserer Sicht geholfen werden?» wird zu wenig nachgedacht. Sie leitete die Runde dazu an, die Gründe gegen Rassismus zu hinterfragen und aus der eigenen Bubble herauszutreten. Rassismus kann überall vorkommen, aber nicht alle Menschen sind gleich davon betroffen.
Die Teilnehmerinnen waren sich einig, dass Rassismus dem christlichen Menschenbild widerspricht. Glover unterstrich: «Wir werden alle auf lange Sicht Schäden davontragen.» Denn letztlich befeuert Rassismus die Ausbeutung von Menschen und Natur. Den Rassismus nur anderen zuzuschreiben oder sich zu schämen, helfe hier nicht weiter. Vielmehr muss es darum gehen, rassistische Gedanken, die man durch die Sozialisation in sich trage, zu erkennen. Gefühle wie Schock, Hoffnungslosigkeit und Überforderung sind dann häufig. Glover riet den Teilnehmerinnen, daraus zu lernen und zu handeln: «Wir leben in einem rassistischen System, aber wir können etwas dagegen tun.» Entschuldigungen, Umdenken, Lernbeziehungen und das Hinterfragen von Macht sind hier gute Wege.
Die Art und Weise, wie Menschen sich selbst wahrnehmen, wird durch ihre Beziehungen bestimmt: Das war der zentrale Gedanke des zweiten Referats der Tagung. Die Waadtländer Pfarrerin und feministische Theologin Aude Collaud legte darin eine Passage aus dem Hohen Lied aus. Je nach Bibelübersetzung beschreibt sich darin eine Frau als «schwarz, aber schön» oder «schwarz und schön». Collaud machte dabei deutlich: Das «Aber» führt uns immer darauf zurück, wer wir sind, wir können es kaum aus unserer Sprache tilgen. Abweichungen von der vermeintlichen Norm werden hervorgehoben, man spricht dem Gegenüber die Zugehörigkeit ab (Othering). Solche Zuschreibungen begegnen der Pfarrerin, selbst eine Person of Color, auch in der Schweiz: «Sie sind nicht von hier, aber sie sprechen gut Französisch.» Dabei ist Französisch Collauds Muttersprache. «Ich vergesse, dass du schwarz bist, weil ich dich jetzt so gut kenne.» Diese im Grunde anerkennend gemeinte Aussage («du bist integriert») setzt das Gegenüber herab und impliziert: «Du darfst in meiner Kultur nicht schwarz sein.»
Die Pfarrerin zeigte in ihrem Vortrag, dass auch Kirchgemeinden trotz gutem Willen und Willkommenskultur Fehler begehen und manchmal gar neue Gräben öffnen. Sie sprach sich in Integrationsprozessen für Begleiterinnen und Begleiter aus, die Menschen helfen, die jeweiligen kulturellen Codes (oft unausgesprochen) zu entschlüsseln.
Wie schwer es sein kann, von der Ablehnung des Rassismus ins aktive Handeln dagegen zu kommen, zeigte Katarina Stigwall im letzten Teil der Tagung auf. Die Leiterin der HEKS-Beratungsstelle gegen Rassismus und Diskriminierung in der Ostschweiz machte in ihrem Workshop die Teilnehmerinnen mit Formen von Rassismus im Schweizer Alltag und neusten Umfrageergebnissen vertraut. Denn die meisten Schweizerinnen und Schweizer erkennen Rassismus als ernsthaftes Problem an und wollen sich dagegen engagieren, aber nur acht Prozent würden in rassistischen Situationen konkret dazwischengehen. Stigwall definierte dabei Rassismus als «alle Barrieren, die Menschen daran hindern, ihre Rechte wahrzunehmen aufgrund dessen, wer sie sind oder woher sie kommen.» Das umfasst Beschimpfungen, Gewalt, aber auch Ausgrenzung, Witze und vergiftete Komplimente.
Aufgrund von Annahmen über Herkunft und Geschlecht wird vermutet, wie eine Person sich verhalten wird. Die Beraterin verdeutlichte das in einem Beispiel: Wenn man nur eine Eigenschaft eines neuen Nachbarn wüsste, wen würde man sich wünschen? Am beliebtesten waren hier Menschen aus der italienischen Schweiz, Menschen ländlicher Herkunft oder Hochgebildete. Am wenigsten wünschten die Befragten sich Menschen mit Namen mit –ic Endung, Personen mit Asylstatus und Muslime. Diese vorurteilsbelasteten Kriterien greifen sehr schnell, obwohl man individuell nichts über die potenziellen Nachbarn und alle Eigenschaften, die sie als Person ausmachen, weiss. Stigwall sprach auch von den Folgen von Rassismus: Betroffene bekommen vielfach Selbstzweifel, man gewöhnt sich leider an die verletzenden Taten oder resigniert bis hin zu Depressionen, Angststörungen und Traumata.
Deshalb ist ein antirassistisches Handeln wichtig: Dazu gehört es anzuerkennen, dass Gefühle und Wahrnehmungen unterschiedlich sein können. Diskriminierende Erfahrungen sollen ernstgenommen und nicht relativiert werden. Im Zweifel ist es hilfreich, problematische Aussagen zu hinterfragen: «Was meinst du damit?» oder «Warum sagst du das?». Es gilt: Zuhören, nachfragen, im Gespräch bleiben.
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